"Hang on, so ist das nicht!"

■ Ein Interview mit der Journalistin Colleen Lavelle vom australischen ABC

Die UNO hat das Jahr 1993 zum Internationalen Jahr der Urvölker der Welt deklariert. In Australien leben derzeit 230.000 Aborigines. Eine von ihnen ist Colleen Lavelle. Sie arbeitet bei der staatlichen Rundfunkanstalt ABC (Australian Broadcasting Corporation).

taz: Seit wann arbeiten Sie als Journalistin?

Colleen Lavelle: Ich arbeite jetzt fast genau zwei Jahre beim ABC.

Können Sie weitere Aborigines nennen, die es geschafft haben, sich im australischen Fernsehen oder Radio einen Namen zu machen?

Da gibt es eigentlich nur wenige. Zur Zeit haben wir Stan Grant. Er ist Aborigine und Chef des nationalen Nachrichtenprogramms. Stan macht das sehr gut. Das war ein Schock für die Öffentlichkeit, daß er Aborigine ist, wo er doch nicht in öffentlichen Parks trinkt... ABC beschäftigt außerdem noch zwei TV-Journalistinnen in Sydney. Sie lesen im Sommer die Nachrichten, wenn die Einschaltquoten nicht so hoch sind.

Wie beurteilen Sie die Darstellung von Aborigines im Fernsehen?

Ich halte nicht viel von der Darstellung der Aborigines in den Medien, sei es im Radio, im Fernsehen oder in den Zeitungen. Immer wird das schlechte Image der Aborigines hervorgehoben. Wenn es eine positive Story gibt, zeigt sich kein Medienvertreter. Wenn es um Betrunkene geht oder irgendwelche Handgreiflichkeiten, dann ist immer jemand da. Dabei heraus kommt jedesmal, daß Aborigines zu nichts nutze sind.

Hier in Queensland war letztes Jahr beispielsweise eine Demonstration vor dem Parlamentsgebäude. Dabei ging es um die beabsichtigte Verabschiedung der Gesetzgebung über die Landrechte der Ureinwohner. Als die Menge die Absperrung durchbrach, wurde das sofort über Radio verbreitet. In dem Beitrag ging es nur darum, daß diese Demonstranten alles Radikale seien. Kein weißer Medienvertreter hier im ABC hat darüber berichtet, warum diese Menschen demonstriert haben, wie die Aborigines darüber denken, daß die Regierung in Queensland ihnen lediglich ein Prozent des Landes zurückgeben will. Die Frage, die der Zuschauer sich nach solcher einer Berichterstattung stellt, ist: Was wollen die denn noch? Die bekommen ihre Landrechte und sind immer noch nicht zufrieden? Die sind erst zufrieden, wenn sie auch noch meinen Garten bekommen! Und so ist es auch von den Medien dargestellt worden.

Die Berichterstattung bestätigt außerdem häufig die Ansicht vieler Australier, daß die Aborigines nichts selbst für sich tun können – daß wir intelligent sind, leben und arbeiten. Es fängt damit an, daß falsche Bildunterschriften zu bestimmten Fernsehaufnahmen gezeigt werden. Oder folgendes Beispiel: Irgendwo gab es einen großen Streit zwischen Aborigines. Alkohol war nicht im Spiel, trotzdem wurde in den Fernsehnachrichten zum Schluß des Beitrages eine Aborigine-Flagge gezeigt mit einer schwarzen Hand davor, die eine Bierflasche hielt. Das suggeriert, daß es mal wieder eine typische Schlägerei zwischen Betrunkenen war. Wenn etwas über Aborigines in den Nachrichten ist, werden häufig Bilder von betrunkenen Aborigines in Parks eingeblendet. Die Statistiken zeigen allerdings, daß auf Aborigines pro Kopf weniger Alkoholiker kommen als auf alle anderen Bevölkerungsgruppen.

Was wird getan, um schwarze Journalisten als Moderatoren in die australischen Medien zu bekommen?

Nicht viel. Das ABC hat eine Politik, mit der versucht wird, die Diversität der australischen Bevölkerung zu reflektieren. Es gibt eine bestimmte Anzahl von Aborigines, die beim ABC beschäftigt ist. Angestrebt sind zwei Prozent, was ihrem Prozentsatz an der australischen Bevölkerung entspräche. Das gleiche gilt auch für Asiaten, Griechen und Deutsche und alle anderen ethnischen Gruppen. Aber aktiv macht niemand etwas. Es wird niemand ermutigt weiterzumachen, was ich falsch finde. Der einzige hochrangige Journalist ist, wie gesagt, Stan Grant.

Wie reagieren weiße Australier auf schwarze Fernsehjournalisten?

Wir werden ignoriert. Beispielsweise bin ich mit den anderen vom Fernsehen irgendwo, und ich spreche jemanden an. Dann kommen zuerst skeptische Blicke und nach einer Weile die Frage: Kann ich Ihnen helfen? Ich sage dann, daß ich vom ABC bin, und dann heißt es: „Sie sind Journalistin? Aber Sie sind doch Aborigine!“ Das ist mir so oft passiert! Bei der schon erwähnten Demonstration hatte ich auch ein typisches Erlebnis: Die Polizei wollte mich nicht zum Presseraum lassen. Ich zeigte dann mein Mikro mit einem ABC-Aufkleber darauf, aber sie haben mich nicht durchgelassen. Ich mußte einen weißen Kollegen holen, der bestätigen konnte, daß ich Journalistin bin und bei ABC arbeite.

Inwieweit reflektiert das Fernsehen die Sicht der Aborigines?

Generell kann ich sagen: Im Fernsehen passiert das gar nicht. Selbst in den sogenannten Soap operas sieht man keine Aborigines. Wenn einmal einer darin vorkommt, ist es entweder der Erntehelfer auf Durchreise, ein Straßenkind, ein Boxer, der sich hocharbeitet. Die Medien halten sich strikt an diese Stereotype. In keiner einzigen Serie spielt durchgehend ein Aborigine mit, nicht einmal in der Serie „Flying Doctors“, die in Zentralaustralien spielt. In der Realität sind dort die meisten Patienten Aborigines. Aborigines machen auch einen hohen Prozentsatz der Krankenschwestern aus. Im Film sind es dann die blonden, blauäugigen Kylie-Minogue- Prototypen.

Welches sind für Sie die vielversprechendsten Entwicklungen in bezug auf Aborigines und Medien?

Ich glaube, die vielversprechendste Entwicklung ist, daß sich immer mehr jugendliche Aborigines für einen Beruf im Medienbereich entscheiden. Wir brauchen das, weil wir es überhaben, daß die weißen Medien uns sagen, was wir denken und wie wir handeln sollen. Wir haben eine Menge Jugendlicher, die sagen: „Hang on! So ist das nicht! Ich will meine Geschichte erzählen, und ich mache das auf meine Art!“ Viele entscheiden sich für die Produktion und die Arbeit mit der Kamera. Das wird uns langfristig zugute kommen.

In New South Wales ist gerade eine Broschüre mit dem Titel „Journalisten Handbuch“ erschienen. Damit sollen Medienvertreter auf den besseren Umgang mit Aborigines vorbereitet werden. Ich selbst habe zum Beispiel einen weißen Kameramann gesehen, der mit seiner Kamera auf Stammesälteste zulief, die trauerten. Eine Journalistin hielt ihnen dann ihr Mikrophon direkt vor die Nase. Ich war entsetzt! So etwas macht man nicht. Ein gesunder Menschenverstand hätte jedem gesagt, daß hier etwas Wichtiges passiert und daß man sich zurückhalten sollte. Interview: Elke Hughes