Bulgariens unverkäufliche Altlasten

■ Drei Jahre nach der Wende ist erst ein Großbetrieb privatisiert

Größer als in allen anderen osteuropäischen Ländern ist in Bulgarien die Schere, die sich zwischen dem von Kleinunternehmern begründeten Privatsektor und der staatlichen Privatisierung auftut. Während es in dem Neun- Millionen-Land mehrere hunderttausend Restaurant-, Cafe- und Lädenbesitzer gibt und der Binnenhandel zu fast 50 Prozent privat abgewickelt wird, war bis Mitte Mai gerade ein staatliches Großunternehmen privatisiert. Der Anteil des Privatsektors in der Industrie beträgt ein bis zwei Prozent.

Vor allem das politische Dauerchaos im Land hat die Privatisierung bislang verhindert. Zu fast gleichen Teilen beherrschen Ex- Kommunisten und Antikommunisten das Parlament und liefern sich politische Schlachten. Zünglein an der Waage ist die Partei der türkischen Minderheit, die die Verbündeten hin und wieder wechselt.

Nach langen Kontroversen wurde im April letzten Jahres ein Privatisierungsgesetz verabschiedet, doch die (im Oktober gestürzte) Dimitroff-Regierung setzte lediglich die sogenannte Restitution um — Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe, Immobilien und Ländereien, die nach dem dem Zweiten Weltkrieg enteignet worden waren, wurden an die ehemaligen Eigentümer oder Nachfahren schließlich zurückgegeben.

Obwohl die bulgarische Privatisierungsagentur mehrere Strategien, Programme und konkrete Angebote zum Verkauf von Großunternehmen ausgearbeitet hat, geriet die Umwandlung des Staatseigentums immer wieder ins politische Kreuzfeuer. Der Plan der seit Januar amtierenden Berov-Regierung, „blitzartig noch in diesem Jahr ein Drittel aller rund 3.500 staatlichen Großbetriebe zu privatisieren", ist sehr umstritten und wird wohl genau daran scheitern. So beträgt der Anteil des Privatsektors am Bruttosozialprodukt dreieinhalb Jahre nach der „Wende" noch immer nur fünf bis zehn Prozent.Die Verzögerung der bulgarischen Privatisierung hat drastische Konsequenzen. Die Marktsituation verschlechtert sich, und der Wert der tief verschuldeten Unternehmen sinkt so stark, daß viele nicht mehr privatisierbar sind.

Laut Angaben der Regierung trifft das derzeit auf etwa 60 Prozent der Unternehmen zu. Um den unvermeidlichen Bankrott sozial abzufedern, hat das Land jedoch kein Geld. Keno Verseck/Budapest