Machtpoker in Kambodscha

Die noch amtierende Regierung droht mit Spaltung des Landes / Sechs Provinzen erklären „Autonomie“ / Rote Khmer rufen zur Ermordung führender Mitglieder der Regierungspartei auf  ■ Von Jutta Lietsch

Berlin (taz) – Droht Kambodscha die Spaltung? Oder versuchen die noch amtierende Regierung und ihre „Kambodschanische Volkspartei“ (PPC) nur, ihre Ausgangsposition für eine künftige Regierungsbildung mit allen Mitteln zu verbessern? In diesen Tagen hat sich die Lage im Land bedrohlich zugespitzt. Am Donnerstag bekräftige der noch amtierende Premier Hun Sen in Phnom Penh erneut, daß seine Partei die Wahlen zur „Verfassunggebenden Versammlung“ vom Mai wegen „Unregelmäßigkeiten“ nicht anerkenne. Zugleich wurde bekannt, daß die Partei- und Militärchefs von sechs der zwanzig Provinzen ihre „Autonomie“ erklärt haben.

Auf der ersten Sitzung des Obersten Nationalrates nach den Wahlen hatte der Chef der UNO- Übergangsverwaltung in Kambodscha, Yasushi Akashi, am Donnerstag bestätigt, daß die Abstimmung frei und fair verlaufen sei. Er lehnte Neuwahlen ab. Akashi erklärte Nachrichtenagenturen zufolge auch, daß „Dissidenten“ der Regierung von Phnom Penh die Abspaltung von den an Vietnam und Laos grenzenden Provinzen im Nord- und Südosten des Landes verkündet hätten: Mondolkiri, Ratanakiri, Stung Treng, Kompong Cham, Prey Veng (nahe Phnom Penh) und Svay Rieng.

In einem Schreiben der politischen Führung, der Armee- und Parteichefs der Provinz Svay Rieng hieß es am Freitag, das Wahlergebnis sei „ungerecht“. Die Regierungspartei PPC hatte bei den Wahlen eine empfindliche Niederlage errungen. Sie lag mit 38,22 Prozent der Stimmen weit hinter der Funcinpec-Partei des Sihanouk-Sohnes Ranariddh, die 45,47 Prozent erzielte. Das Ergebnis war für die Partei der 1979 von Vietnam eingesetzten Regierung besonders niederschmetternd, weil ihre wichtigsten Führer in ihren Heimatprovinzen eine deutliche Absage der Bevölkerung erhalten hatten: Nach einem Bericht der französischen Le Monde erhielt Premierminister Hun Sen in seinem Wahlkreis in der Provinz Kompong Cham – deren Gouverneur Hun Sens Bruder ist – gerade ein Drittel der Stimmen. In Phnom Penh, wo der Chef der PPC, Chea Sim, an der Spitze der Liste seiner Partei antrat, gewann die Funcinpec haushoch. Auch sein Neffe Ung Samy, Gouverneur der Provinz Battambang, wurde geschlagen. Ob es sich bei der angekündigten Abspaltung der sechs Provinzen um ein Manöver der Regierung handelt oder ob nun Differenzen innerhalb der Volkspartei offen zutage treten, ist noch unklar.

Vietnam, der Mentor der kambodschanischen Regierungspartei, scheint eine Spaltung des Landes abzulehnen. Auf letzteres könnte die Erklärung eines Sprechers des Außenministeriums in Hanoi hinweisen, der gestern daran erinnerte, daß sich sein Land am 3.Juni dazu bereit erklärt hat, das Ergebnis der Wahlen in Kambodscha und eine von der Verfassunggebenden Versammlung gebildete Regierung anerkennen zu wollen.

Unterdessen haben die Roten Khmer, die die Wahlen boykottierten, aber offensichtlich ihren Anhängern gestattet haben, zur Abstimmung zu gehen, die Regierungspartei „undemokratischen Verhaltens“ bezichtigt. In Phnom Penh wird angenommen, daß die Führung der Roten Khmer immer noch darauf setzt, daß ihr in einer von der Funcinpec geführten Regierung unter der Präsidentschaft von Prinz Sihanouk eine Beteiligung an der Macht ermöglicht wird. Gestern verschärften die Roten Khmer ihre Kampagne gegen die noch amtierende Regierung und ihre Partei: Über ihren Rundfunk riefen sie die Bevölkerung dazu auf, deren Vertreter zu ermorden. Der offizielle Chef der Roten Khmer sagte AFP zufolge wörtlich: „Es ist eure Aufgabe, eure Waffen umzudrehen und gegen die Verräter Hun Sen, Chea Sim“ und weitere führende Persönlichkeiten der PPC zu richten. „Sie müssen auf der Stelle, ohne zu zögern, getötet werden.“