Ein Funken Klassenkampf

Ostdeutsche Agrargenossenschaften warten auf Ackerland, doch die Treuhand bedient zuerst die Erben der Junker  ■ Aus Buchenhain bei Prenzlau Jantje Hanover

Das graueste Haus in ostdeutschen Dörfern ist für gewöhnlich der Verwaltungssitz der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. In Buchenhain bei Prenzlau ist das nicht anders. Von Wende und Marktwirtschaft völlig unberührt, liegt der realsozialistische Flachbau an der Kurve der Dorfstraße. Nur ein Schild mit grünem Aufdruck kündet von neuen Zeiten. Die LPG mit dem klangvollen Namen „Immer bereit“ nennt sich heute „Agrargenossenschaft Buchenhain e.G.“.

Durch einen langen dunklen Gang gelangt man in die Büroräume der Genossenschaft. Sieben sind es an der Zahl, zwei weitere Zimmer in dem verwaist wirkenden Haus werden vom dörflichen Postamt genutzt. Der einstige Vorsitzende, Othmar Schmalenberg, 59, ist heute Geschäftsführer und wird auch schon mal „Chef“ genannt von denen, die jetzt „Angestellte“ sind.

„Wenn Sie hier die Straße nach Prenzlau hochfahren, fünf Kilometer lang, links und rechts vom Straßenrand, das ist alles unsers.“ Schmalenberg zeigt auf die Felder hinter dem Fenster des winzigen Empfangszimmers, während die Hauptbuchhalterin Kaffeetassen auf die geblümte Plastiktischdecke stellt. – Das Land haben die Genossenschafter von der LPG Pflanzenproduktion am Ort übernommen, insgesamt eine Fläche von über 1.500 Hektar. Mit 600 Milchkühen und Mastrindern sowie 1.000 Schweinen aus dem eigenen Stall sind die Buchenhainer ein landwirtschaftlicher Großbetrieb.

Trotzdem klingt keine Spur von Besitzerstolz in der Stimme des ehemaligen Vorsitzenden. „Die Treuhand blockiert unser gesamtes Betriebskonzept, weil sie seit der Wende bloß einjährige Pachtverträge rausgibt.“ Zwar konnten 800 Hektar von landbesitzenden Ex-Mitgliedern angepachtet werden, der Rest des Genossenschaftslandes steht bis auf weiteres unter dem Daumen der Berliner Abwickler.

Die Treuhand hat eine Tochtergesellschaft, die BVVG (Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft) mit Verkauf und Verpachtung des grünen Erbgutes der DDR beauftragt. Sie befolgt bei der Vergabe von Land eine Richtlinie, die den Genossenschaften (im Vertrag juristische Personen) erst an zweiter Stelle den Zuschlag für beantragte Flächen gibt. Vorher werden vor allem Alteigentümer (Wiedereinrichter) und ehemalige Genossenschafter, die sich selbständig machen wollen, bedient.

Der Alteigentümer ließ natürlich auch in Buchenhain nicht lange auf sich warten – schließlich war in Brandenburg vor dem Krieg die Hälfte allen Landes in Großgrundbesitz. Er heißt Dedo von Arnim und hat bereits das große alte Haus am Waldrand gekauft, das im Dorf „das Schloß“ genannt wird. Sanfter Tourismus ist geplant, außerdem liegt der BVVG ein Kaufantrag über 600 Hektar Land vor. Angeblich will Arnim dieses Land dann wieder an die Genossenschaft zurückverpachten.

Aber Schmalenberg traut dem Frieden nicht. Beim Gang durch die Instanzen hatten die Kontrahenten ausreichend Gelegenheit, sich zu beschnuppern. Die Kreisempfehlungskommission aus dem örtlichen Landwirtschaftsamt, die bei konkurrierenden Anträgen einen Vorschlag an die BVVG weiterleitet, wollte im September 1992 der Genossenschaft den Vorzug geben.

Laut Richtlinie dürfen nämlich existierende Betriebe nicht gefährdet werden. Als Arnim protestierte, kam es zu einer Aussprache vor der Bodenkommission, einer Schlichtungsinstanz für Bodenfragen. Genossenschafter Schmalenberg wurde dringend zum Nachgeben aufgefordert. Vorerst blieb das Treffen ohne Ergebnis. Allerdings sind jetzt nur noch 260 Hektar im Gespräch.

Für die Genossenschaft ist dieses Land lebenswichtig. Obwohl von 170 ehemaligen Mitgliedern nur 27 übriggeblieben sind, stehen weitere Entlassungen bevor, damit wenigstens die angemessen bezahlt werden können. „Wir zahlen im Moment Löhne zwischen 8,50 und 10,50 Mark brutto.“

Kein Wunder, daß gemault wird: Die ABM-Kräfte, die im Dorf die Blätter wegfegen, verdienen besser.

Sobald die Zusage für das Land da ist, soll daher ein Mähdrescher gekauft werden. Mehr Technik, weniger Leute, ergibt mehr Geld pro Kopf, heißt das systemkonforme Kalkül.

„Wenn ABM ausläuft, wird es hier kritisch.“ Die Sorgenfalten auf der Stirn des Geschäftsführers werden noch ein bißchen tiefer. Nur wenige der Ex-LPGler haben Arbeit gefunden. Obwohl Schmalenberg seine eigene Frau aus dem Angestelltenverhältnis entließ, das auch sie eingegangen war, wird die Familie im Dorf angefeindet. „Hier redet keiner mehr mit dem anderen“, beklagt Frau Schmalenberg das gespannte Klima. Weil bis jetzt keine Gewinne erzielt wurden, haben die Aussteiger von ihren Anteilen aus dem LPG-Vermögen noch keinen Pfennig gesehen. Im Juli läuft der einjährige Pachtvertrag ab. Bis dahin erwartet man eine Entscheidung der Treuhandanstalt. „Wenn die gegen uns ausfällt, sollen die uns mal kennenlernen.“ Ein kleiner klassenkämpferischer Funke scheint die Wende überlebt zu haben.