Zivile Einmischung

■ Kirchentag über Lage der Nation

München (taz) – Ganz schön viel, was sie sich vorgenommem hatten. Über die Frage „Ist Politik am Ende?“ debattierten Politiker und Journalisten am Donnerstag auf dem Evangelischen Kirchentag. Die Antwort war zwangsläufig unbefriedigend. Was die rund 2.000 Zuhörer auf Papphockern und Papphockerinnen vorgesetzt bekamen, war eine Talk-Show mit Publikumsbeteiligung. Bekannte Statements wurden ausgetauscht, frei nach dem Motto, daß allgemein zu reden immer einfacher ist, als konkret zu werden.

Es spreche für sich, daß auf dem Podium nur Politiker und Journalisten säßen, kritisierte Robert Leicht von der Zeit, denn es sei „ein gefährliches Indiz der modernen Gesellschaft, daß die Kontrolle der Politik ohne Qualitätsstandard nur noch über die Medien abläuft“. Redner und Publikum beklagten den Zustand der Politik: „Das Unerträglichste an der Politik“ sei, so Wolfgang Thierse (SPD), daß immer erst extremster Problemdruck zu einer vernünftigen Problemlösung führe. „Es mußten fünf Menschen sterben, damit ein Vorschlag wie die Doppelstaatsbürgerschaft ernsthaft diskutiert werden kann.“ Für Erhard Eppler (SPD) ist Politik „im engen Sinne“ überhaupt nicht mehr vorhanden. Politik sei zur reinen Verwaltungssache verkümmert. Eppler forderte mehr direkte Demokratie. „Wir gehen einer Zeit entgegen, wo jedes Argument gegen Volksentscheid als eines gegen die Demokratie gedeutet wird.“

Der Kirchentag müsse konkreter werden, sagte Antje Vollmer (Die Grünen). Nicht ziviler Ungehorsam, sondern zivile Einmischung sei jetzt wichtig. Es müsse außerdem wieder eine klar erkennbare Trennung zwischen Opposition und Regierung geben.

Weizsäcker, der spontan das Schlußwort hielt, gefiel die Idee der zivilen Einmischung ebenfalls. Ob er sich beim Absegnen des neuen Asylrechts selber einmischen wird, erwähnte er allerdings nicht. Corinna Emundts