FDP für bessere Ausländerintegration

Hickhack um FDP-Resolution zu Solingen / Lambsdorff und Möllemann gegen großen Lauschangriff / Und die Überraschung: Möllemann will Genscher als Bundespräsidenten  ■ Aus Münster Hans Martin Tillack

Die FDP tut sich schwer mit einer angemessenen Reaktion auf die ausländerfeindliche Terrorwelle. Zu Beginn ihres dreitätigen Parteitages in Münster legte der Bundesvorstand den 662 Delegierten gestern vormittag eine Resolution vor, die erst nach erheblichen Mühen zustande gekommen war. Einen ersten Entwurf des hessischen FDP-Chefs Wolfgang Gerhardt, in dem neben einigen allgemeinen Äußerungen lediglich die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft erwähnt wurde, lehnte der Bundesvorstand am Donnerstag abend zunächst ab. Gerhardt, in dessen hessischem Landesverband in letzter Zeit immer wieder rechtsextreme Töne zu hören waren, mußte seinen Entwurf in einer Nachtsitzung mit den Abgeordneten Burkhard Hirsch und Cornelia Schmalz-Jacobsen überarbeiten.

In der neu gefaßten Erklärung, die der Parteitag gestern nachmittag zu Beginn der Antragsberatungen verabschieden wollte, bekennt sich die FDP jetzt neben der Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft auch zu erleichterter Einbürgerung und dem kommunalen Wahlrecht für in Deutschland lebende Ausländer. Als Ursachen der „Gewaltbereitschaft“ benennt die FDP neben „Perspektivlosigkeit“ auch fehlendes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik sowie den „Verlust allgemein akzeptierter Wertvorstellungen und damit verbundene nachlassende Erziehungsfähigkeit in Familie und Schule“.

In Reden vor dem Parteitag machten sowohl Gerhardt wie der scheidende Parteichef Otto Graf Lambsdorf für die rechtsradikale Gewalt in Deutschland vor allem einen Mangel an „Erziehung“ verantwortlich. Lambsdorff sah einen „ursächlichen Zusammenhang zwischen der gestiegenen Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen und dem Werteverlust“. Gerhardt erwähnte in seiner Rede nicht die Forderung nach einer besseren Integration von Ausländern, plädierte aber für „neuen Mut und neue Kraft zur Erziehung“.

Noch am gestrigen Abend stand die Wahl von Außenminister Klaus Kinkel zum neuen Parteichef auf der Tagesordnung. In seiner Abschiedsrede sprach sich Lambsdorff entschieden gegen den „großen Lauschangriff“ aus. „Ich will keine Wanzen in meinem Schlafzimmer, weder technische noch lebende!“ erklärte Lambsdorff den Delegierten, die heute über diese Frage entscheiden müssen. Lambsdorff plädierte gleichzeitig für Kürzungen im Sozialetat. Es könne „nicht so bleiben“, daß ein Drittel des Bundeshaushalts für soziale Belange aufgewendet werde.

Ein schärferes Profil der FDP in der Koalition mit der Union forderte der ehemalige Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann. Er formulierte ebenfalls „ein klares Nein“ zum Lauschangriff und verlangte von seiner Partei, „unseren Verbleib in der Regierung von der Rückkehr zur finanzpolitischen Solidität abhängig“ zu machen.

Für Überraschung sorgte Möllemann, als er den ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher öffentlich dazu aufforderte, als Bundespräsident zu kandidieren. „Sagen Sie ja zu einer Kandidatur“, rief Möllemann Genscher zu. Der Ex-Außenminister hatte es bisher aus Gesundheitsgründen stets abgelehnt, als Nachfolger von Richard von Weizsäcker anzutreten.