Kompromisse im samtenen Untergrund

■ Oldies, but Goldies: 25 Jahre nach der Legendenbildung beehrten Velvet Underground die Sporthalle

die Sporthalle

Die Banane ist in jede Eintrittskarte gestanzt, schwarzgelb auf Silber. Ein Pfeil weist hin: ‘Peel slowly and see'. Das Auge glaubt's, der Finger knibbelt, reingefallen. Nichts zum Aufreißen. Auf der Rückseite prangt eine nackte rosa Frucht. Die Banane und den Namen — nach einem Sado-Maso- Groschenroman — bekam die Combo Velvet Underground von Andy Warhol verpaßt. Der erhob 1967 auf dem ersten Plattencover der sinister-romantischen, heimelnde Düsternis verbreitenden Rock- Band die Staudenfrucht zum Symbol des musikalischen Nebenprodukts seiner Factory, das Ende der 60er bis ins deutsche Jugendzimmer gelangte, während rundum die Hippies friedfertig flippten.

Am Freitag abend wurde die Legende Velvet Underground lange nach ihrem Ableben in der Alsterdorfer Sporthalle Fleisch, die Banane endet auf den Billetts. Ausgerechnet die Banane, dieser Doppeldildo der deutschen Zusammenlegung.

25 Jahre nach ihren größten Erfolgen verwandeln Velvet Underground als vier abgeklärte Solisten die Sporthalle in einen Wallfahrtsort für junge und alte Fans. 21.15 Uhr: Menschenschlangen vor den Gittern am Einlaß, Stau sogar am Presse- und Promi-Eingang, den nur Gestalten wie Marius Müller-M. samt brutal-charmantem Gorilla unverzüglich passieren dürfen. Drinnen kein Bier, kein Alkohol- Verkauf — auf ausdrücklichen Wunsch der Band, die nicht vor besoffenen Deutschen singen wolle, heißt es. Überall Coca-Cola- Becher.

Manch einer fühlt sich gemaßregelt, schluckt dann aber sein Mineralwasser. Marihuana-Wölkchen schweben in der Halle, als gegen 21.40 Uhr Lou Reed, John Cale, Moe Tucker und Sterling Morrison auf der Bühne erscheinen, die Spots sie mit blutrotem Licht überschütten und im Publikum der erste Fan mit Kreislaufproblemen zu Boden geht, begleitet von Shiny, shiny, shiny boots of leather, I could sleep for a thousand years ...

Zu Neuem haben sich die ver-

1dienten Fossile nicht aufgeschwungen, spielen ihr etabliertes Song- Sortiment mit den Erfahrungen aus einem Vierteljahrhundert Leben und Show-Geschäft. Erwachsene Qualität beweisen Reed, Cale, Tucker und Sterling dadurch, daß sie uralte Streitereien beiseite lassen, und den Kompromiß eingehen, öffentlich gemeinsam zu musizieren. Cale, der Avantgarde-Profi, streicht und sägt meist seine Viola, ordnet sich unter in Stil und Können seiner Gefährten. Daneben Lou Reed, der Cale dereinst rausgeschmissen hatte, und Sterling Morrison, dem Reed auch nicht sonderlich grün war, an den Gitarren. Hinter ihnen steht Moe Tuc-

1ker am Schlagwerk.

Um 22.20 Uhr die ausführliche Begrüßungsansprache durch Mr. Reed: „Hello“. Viel mehr Worte richtet er kaum ans treue Publikum. Später noch ein „Thank you“ aus der Tiefe der Kehle, und als Gipfel der Herzlichkeit am Ende: „We hope to see you again“. Anbiedern wollen sich Velvet Underground wahrhaftig nicht, auch wenn sie Sweet Jane, Venus In Furs und All Tomorrows Party auferstehen lassen. Und mancher Jünger der Jungens- Band, die als eine der ersten bekannteren Formationen eine Schlagzeugerin mitspielen ließ, ist wohl gar nicht erst gekommen, um den Mythos des Kult-Quartetts

1nicht demontiert zu sehen. Ein Türsteher-Trio in Feinripp und ärmellosen Jeans-Jacken kommt in Schwung, vor der Bühne fliegen die Mähnen der heftig die Köpfe schüttelnden Mädels. Ein Kiez-Discjockey mokiert sich später über Mo Tuckers Schlagzeugspiel, ihre durchgehende Gleichmäßigkeit, immer hart am Rhythmus von Reeds Gesang. Ein anderer bejubelt wiederum ihre einfache Technik mit den Schlegeln.

Einigkeit weder auf der Bühne noch im Publikum, in dem ebenfalls die Jungens überwiegen. Reed trocknet sich Hand und Stirn mit einem Handtuch, wirft es achtlos weg. Es scheint in Cales Revier zu

1landen, denn der schleudert es unverzüglich zurück vor Reeds Füße. Doch in meditativer Einigkeit neigen sie sich beide über ihre Gitarrenhälse, und schließlich verbeugt man sich gar, die Körper in der Reihe dicht an dicht, gemeinsam vor dem doch überwiegend begeisterten Publikum, das sich mit den, durch die Wiedervereinigung der Band, gebotenen Kompromissen einverstanden erklärte. Kurz nach zwölf, nach gut zweieinhalb Stunden Erinnerungsarbeit und drei längeren Zugaben ist der Spuk vorbei. Die Banane wandert in die Poesiealben, wo Billetts legendärer Konzerte für die Ewigkeit beiseite gelegt werden. Julia Kossmann