Höhentöchter an der Wölbholzzither

■ 274. Dacapo-Konzert: „Kazue Sawai Koto Ensemble“

Kaum ein Klang symbolisiert so eindeutig japanische Kultur wie das spröde, hölzerne Surren der Koto. Als akustisches Erkennungszeichen wird sie mit Vorliebe in Fernsehfeatures oder Rundfunkbeiträgen über Nippon verwendet, um die passenden Assoziationen zu wecken. Die Wölbholzzither aus Pawloniaholz mit Saiten aus Seide und Stegen aus Elfenbein ist ein klassisch höfisches Instrument und wurde in Japan zum Bestandteil der feinen bürgerlichen Kultur, ähnlich wie das Piano in Europa.

Und so wirkten die sechs jungen, in wehende Seidenumhänge gehüllten Japanerinnen und die Kotovirtuosin Kazue Sawai auch ein wenig wie eine Klasse von höheren Töchtern mit ihrer meisterlichen Musiklehrerin. So fein, ordentlich und ätherisch war die Musik auf den 13-saitigen Kotos und der 17-saitigen Solo-Koto zum Glück nicht.

Auf dem Programm standen zeitgenössische Kompositionen, die eine erstaunliche Bandbreite und Klangfülle des Ensembles offenbarten: Einflüsse von Rock und Popmusik waren etwa in den ersten beiden Stücken „Aoku“ und „Koto2“ auszumachen — hier konnte man auch förmlich im beeindruckenden orchestralen Klang der sieben unisono spielenden Instrumente baden. Ganz anders dann „Iris Of Time“, bei dem der natürliche Ton der Instrumente durch Klammern und Stäbchen verfremdet wurde und das Ensemble besonders unharmonisch, wie einander widersprechend spielte: das Dahinfließen und die Schichtung der Zeit wurden so hörbar gemacht.

Schwieriger nachzuvollziehen war ein langes Solo von Kazue Sawai, bei dem sie auf einem banjoähnlichen Instrument spielte und dazu ein Poem rezitierte: nach dem vollen Klang von 95 Saiten war da plötzlich nichts außer dem äußerst reduzierten Singen von drei Saiten und einem sehr ruhigen, tiefen Flüstern. Die beiden Koto-Soli von Kazue Sawai waren dagegen aufregend schöne Hörerlebnisse, an denen man auch Genuß finden konnte, wenn man Japan noch nicht verstanden hat.

Bei der letzen Zugabe wurde dann die Liebe der Japaner zur Leere und Stille sehr gewitzt auf den Punkt gebracht. Als „Welturaufführung in der Instrumentierung eines Kotoensembles“ wurde „4'33“ von John Cage gespielt: Genau 4 Minuten und 33 Sekunden saßen die Musikerinnen vor ihren Instrumenten, ohne auch nur einen Ton zu spielen. Gemäß der Partitur waren die Fenster geöffnet, und so hörte man lediglich die Geräusche der nächtlichen Stadt. Willy Taub