Leicht beschlipst

■ Neu im „Parliament of Fashion“: Sibilla Pavenstedt, Glitzerfäden-Spinnerin aus Bremen

Nichts ist hier an seinem rechten Platz. Der Topfreiniger der beliebten Marke „Abrazzo“: aufgedröselt und zu Glitzerfäden gesponnen, die nun den edlen Body schmücken. Die Kunsthaar-Perücke: hübsch drapiert am Rocksaum. Die Krawatten schließlich: nicht schön mittig über dem Brustbein wie bei korrekten Herren, nein — die Damen lassen sie rechts und links über dem Busen baumeln, als Weste nämlich. Derart leicht beschlipst verspricht der Modeherbst zu werden.

Zumindest die neue Kollektion aus dem Atelier Sibilla Pavenstedt. Die leicht verrutschten und verrückten Kreationen gehören zu den Markenzeichen der Bremer Modemacherin. Dafür darf sie sich jetzt zu den „besten Modedesignern Deutschlands“ zählen, von Gnaden der Fa. Philip Morris. Deren „Minister for Design & Fashion“, die umtriebige Isabelle von Waldburg, rief — und etwa 500 BewerberInnen für ihr „Parliament of Fashion“ kamen. Die Ministerin nämlich vermißt in der Mode u.a. „die wirklich neuen Trends“ — die freilich kann sie von ihrer Bremer Parlamentarierin kaum erwarten.

Denn alles, was „trendy“ ist, hält Sibilla Pavenstedt für nicht mehr tragbar. Jede Saison ein neuer Mega-Trend, ein neuer Gag, ein neuer Griff in die alte Klamotten-und Zitaten-Kiste: Von diesem Schnelldurchlauf des Massenkonsums hebt sich das Atelier der Bremerin mit deren kostbaren, verspielten und versponnenen Einzelstücken ab. Gerade die abseitige Lage Bremens, fern der aufgedonnerten Welt der Houte Couture, gibt ihr den nötigen Freiraum für Experimente, sagt Pavenstedt.

In Mutters abgelegten Blusen — neue Kleider würde sie nie kaufen — schwebt sie durchs lichte Atelier, hoch über den Dächern des Ostertors. Und schwärmt: von ihrer tonigen Palette — „alles Farben, die in der Natur vorkommen“; von ihrem Material, das man „nie domestizieren und in Formen pressen“ dürfe. Was lag da näher, als aus Gummibändern ein veritables Stretchkleid zu stricken? Mit letzterem zog Pavenstedt denn auch erstmals die Aufmerksamkeit der Modewelt auf sich. Chloe-Chefin Sitbon zeigte sich vom luftigen Gummikleid ebenso angetan wie eine ganze Reihe von Boutiquen. In deren Auftrag werden die Pavenstedt-Schrägheiten seither geschneidert, ganz ohne die Rückendeckung einer großen Modefirma. Auflage: „Von eins bis 20 Stück.“

So kostbar die schrägen Stücke auch sind: „Erst der Körper verleiht dem Kleid die Präsenz“; auf der Kleiderstange zähle es gar nichts. Pavenstedt will, daß sich Frauen „gut kleiden“ und nicht maskieren. Teure Karnevals-Klamotten für die Hautevollee sind bei ihr nicht zu haben.

Den Luxus solch versponnener Ideen muß man sich erstmal leisten können. In der Mode-Provinz Deutschland aber sei „niemand da, der die Kultur in der Mode fördert“. Genau darum hat sich Pavenstedt auch auf den Fashion- Rummel der Frau von Waldburg eingelassen: „Um ein Zeichen zu setzen“, daß es ohne Sponsoring nun mal nicht gehe. In anderen Ländern sei sowas „ganz normal“. Nur die deutsche Textil-Industrie, die mit ihren Kopien schließlich „wahnsinnig viel Geld verdient“, die investiere nichts in die heimische Avantgarde.

Da werden auch die Krawatten- Westen teure Einzelstücke bleiben: alles Orginale, sämtlich aus handverlesenen Selbstbindern geschneidert, ganz material-und farbecht. Eben Edelmarke Pavenstedt.

Thomas Wolff