Aug' um Auge, Ohr um Ohr

Man nehme ein bißchen Selbstinszenierung, Rumhängen, Alltags-Rap, ein bißchen triviales Amerika und den passenden Regisseur dazu – und schon wird ein „Kult“-Film draus: Richard Linklaters Laber-Schleife „Slacker“  ■ Von Anke Westphal

In den USA ist „Slacker“ 1) ein nicht mehr ganz ladenneuer Begriff für jene postgraduierten „Twentysomethings“, die den Pflichteneintopf eines 9-to-5-Jobs umgehen, um im besten Falle kreativ herumzuhängen. „Slacker“ meint 2) Richard Linklaters Film über die Campus-Szene von Austin/Texas, in der sich die Slacker- Welt beispielhaft bündeln soll. Die Presse setzt denn auch gleich ein „Classics“ vor das 1989 gedrehte Independent-Werk und trägt es dem Publikum überschwenglich als „ausgelassenen, fesselnden Kult-Film“ an. Von hier aus hat man es nicht mehr weit zu den Beatniks, die als „Neo-Beatniks“ recycelt werden.

Wer sich das Leben mit Gedanken wie „Where do we come from“ beschwert, kommt im Film als ultimative looser vor, als bike rider with nice shoes, scooby doo philosopher, T-Shirt terrorist, sidewalk psychic, anti-traveller oder einfach als Stephanie from Dallas. 24 Stunden lang monologisieren sie nach der Devise „Nice talking to you“ auf der Straße, in Coffee Shops, Studentenbuden, Bibliotheken oder auf Autofriedhöfen, und das über Themen, die den Adressaten, der grad eben zur Hand ist, selten erschüttern. Nach dem Prinzip der gesetzlichen Zufälligkeit kollidieren bedauernswerte Mitteilungsbedürftige einmal mehr mit Coolen, die es besser wissen, aber für sich behalten.

Sidewalk Talking aus dem Infotainment-Pool heraus präsentiert sich bei Linklater als den Neunzigern angemessenes freies Flottieren von (meistenteils) ebenfalls angemessen inkongruenten Kommunikationsbedürfnissen und -inhalten, Neurosen und Einsamkeiten jener modern day libertarians, von denen es nicht nur in Texas wimmelt. Da schüttet gleich in der Eingangsszene der Regisseur als junger Globetrotter einen unbescholtenen Taxifahrer zu. Es geht ihm um „all those other directions“, die doch „seperate realities“ werden, „just because they thought about them“.

Die Domino-Beliebigkeit der Begegnungen entspricht aufs trefflichste dem kurzatmigen Orts- und Personenwechsel. 97 Variationen aufs Thema sehr ähnlich individueller Jugend in Bermudas und Karohemden oder Muskelshirts. Doch ob der nette Junge von nebenan grad seine Mutter totgefahren hat, ein Betrübter nicht bei den Butthole Surfers auf der Gästeliste steht oder jemand seine Schreibmaschine in den Fluß schmeißt, ist trotzdem nicht all the same. Raumfahrtprogramme, Geschichte, Verbrechen und anderen Kleinigkeiten oszillieren zwar in einer Endlos-Laber-Schleife, die aber selbst als Slacker-Mikrokosmos irgendwie noch „Realität“ heißt und sich nicht wie ein Video rückwärtsspulen, auf Pause oder Slow Motion setzen läßt. Auch wenn die Slacker das ernste Leben als solches nicht mal geschenkt möchten – es gräbt als unfreiwillige Parodie der Inszenierung längst unter ihnen: „People are running around here dwelling in eleventh hour concept and it's well afternoon... Can I sell you a T-Shirt?“

Selbst Madonnas Schamhaar („it gets you a little closer to the rock god herself than a poster“) ist einem geklonten Freak mit Basecap wohlfeil – „It's a material world!“ Also „Imagine yourself“ – zumindest im Standbild, scheint die Slacker-Botschaft zu lauten. TV kontra Natur, Kamera gegen Megaphon, Aug' um Auge, Ohr um Ohr – jeder Trend bis hin zur virtuellen Realität überholt sich im Zitat, denn „All these days are about the same“.

Die Vorstellung, daß jemanden Anpinkeln und jemanden Anphilosophieren ungefähr dasselbe sein kann, ist wenigstens 60 von 97 Minuten lustig. Aber leider auch nicht viel länger. Der Rest, auch in Anspielungen kaum mehr „Neo“, zeigt nichts als den Solipsismus gewisser Selbstinszenierungen.

„Slacker“, mit: Jerry Deloney, Brecht Andersch u.a. USA 1989, OF. Noch bis zum 16.6. jeweils um 21.30 Uhr im Eiszeit, Zeughofstraße 20. Kreuzberg