piwik no script img

Flug ohne Ende

Lutz Rathenows „Autorenschlachten“ in Saarbrücken uraufgeführt  ■ Von Stefan Müller

Autorenschlachten hat es schon einmal gegeben in Saarbrücken. Damals, Mitte der 80er, hatten sich die Mitglieder des Bundesdeutschen Schriftstellerverbandes zu einer Delegiertenversammlung an der Saar getroffen. Anlaß war die Abschaffung des polnischen Schriftstellerverbandes. Zwischen der sogenannten „Betonfraktion“ und einer Berliner Gruppe um Günter Grass fanden heftige Flügelkämpfe statt, die wie Ernst Fuchs später andeutete, nach einem „Drehbuch der Stasi“ abgelaufen seien.

Deutsch-deutsche Autorengeschichte spielt mit hinein in das Stück Lutz Rathenows, aber sie ist nicht der Grund dafür, warum „Autorenschlachten“ gerade in Saarbrücken uraufgeführt wird, – wo man es doch in Berlin auf dem rechten Platz vermuten würde, dem eigentlichen Schlachtfeld deutscher Vereinigungskämpfe. „In Berlin würde es auch heute noch jeder nur nach Anspielungen abklopfen, und ich hätte 40% Gegner, 30% Befürworter und 30% wohlwollende Mitte“, meinte der Autor anläßlich der Premiere. Er aber wollte wissen, „was einer damit anfangen kann, außerhalb dieser Stadt.“

Ursprünglich sollte das Auftragswerk des saarländischen Staatstheaters schon vor über einem Jahr über die Bühne gehen, als die Enthüllungen um die Schriftsteller des Prenzlauer Bergs gerade in den bundesdeutschen Feuilletons Wellen schlugen. Aber, weil der Autor selbst so eng in die Diskussion verwickelt sei, hieß es damals offiziell in Saarbrücken, werde die Premiere verschoben. Denn Rathenow wollte mehr als nur ein Zeitstück verfassen.

Über ein Jahr später ist es nun doch ein Zeitstück geworden, freilich eines, das trotz aller Betroffenheit auch die absurden und komischen Seiten der Stasidebatte reflektiert. Die Generalabrechnung mit Wessis, Ossis oder Stasis findet man darin ebensowenig wie eindeutige Antworten auf eine wie immer geartete Schuldfrage. Das Ende bleibt buchstäblich in der Schwebe: „So oder so hört dieser Flug nicht mehr auf“, lautet der letzte Satz dieses Stücks, und der Zuschauer blickt auf ein kleines Plastikflugzeug, das über einer aufgebrochenen Berliner Mauer am Himmel steht (Bühne: Thomas Richter-Forgàch).

Vor diesem Hintergrund treffen sich Schriftsteller in unprätentiös gestalteten Hotelbars, Kneipen, Kongreßhallenklos: Bertram Bertram alias Lutz Rathenow, der von der Stasi bespitztelte Autor, oder Helgar Thomsen und Ronald Schinsk, die „Inoffiziellen Mitarbeiter“ mit deutlichen Ähnlichkeiten zu Sascha Anderson und Rainer Schedlinski. Sie werden auf einem Kongreß mit Stasioffizieren konfrontiert, die versuchen, nach der Wende ihren Hals in die kapitalistische Richtung zu drehen, eifrig bemüht, Texte aus IM-Berichten als Literaturagenten zu vermarkten. Mit ironischem Wortwitz setzt Rathenow seine Spitzen und trifft jeden, aber auch wirklich jeden, den Wessi-Kritiker, den Geheimdienstmajor und sogar sich selbst.

Daß über ihn geschrieben wurde, er nähme sich das Leben, an dem Tag, an dem er sich in keiner Zeitung mehr zitiert fände, auch das hat er für die Bühne aufgeschrieben. Durch überraschende Wendungen von Protagonisten wie Handlung wird dem Publikum immer wieder der sichere Boden eines klaren Feindbildes entzogen. Opfer ist der moralische Rigorismus von selbsternannten Saubermännern, nicht die Moral. Aber dieses Stück birgt auch einige technische Schwächen. Da gibt es zu viele, völlig überflüssige Figuren, banale oder widersprüchliche Szenen. Es hat auch nicht die ganz große emotionale Kraft, die meisten Charaktere bleiben doch zu typenhaft. Am besten gelingt noch die Figur einer labilen heroinsüchtigen Immobilienmaklerin mit literarischen Ambitionen, vorzüglich gespielt von Andrea Wolf.

Dennoch, nach den spektakulären Schnellschüssen an der deutsch-deutschen Dramatikermauer liefert „Autorenschlachten“ eine Diskussionsgrundlage. Sie wird in der unspektakulären Inszenierung von Kai Braak nicht gerade zum großen, nachhaltig wirkenden Theaterereignis, aber vielleicht zu Nachdenklichkeit anregenden und nicht nur leichten Unterhaltung. Die grundsätzliche, über den Tag hinausweisende Auseinandersetzung mit einer Welt verschwimmender moralischer Strukturen, mit Utopieverlust und einem System, das sechsmal soviele Spitzel pro Einwohner wie die Gestapo beschäftigte, steht auf deutschen Bühnen aber immer noch aus...

Lutz Rathenow: „Autorenschlachten“, Regie: Kai Braak; Bühne und Kostüme: Thomas Richter-Forgàch; Saarländisches Staatstheater. Weitere Vorstellungen: 15.-18., 19., 26., 27. Juni.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen