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■ In letzter Sekunde verhindern die Vereinigten Staaten den Austritt Nordkoreas aus dem Atomwaffensperrvertrag

Tokio (taz) – Nordkorea tritt vorerst nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, behält sich jedoch vor, dies später einmal zu tun. Gerade soviel und kein Wort mehr konnte US-Präsident Bill Clinton zur Beruhigung versprechen, als er am späten Freitagabend das Ergebnis der Verhandlungen seiner Regierung mit den Vertretern Pjöngjangs bekanntgab. „Unser Ziel, Nordkorea in ein undurchlässiges System der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen einzubinden, wird allen Nationen dienen“, sagte Clinton.

Doch die Welt hatte mehr erwartet: Verfügt Nordkorea nun über die Atombombe oder nicht, und wann werden wir es erfahren? Tritt Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag aus oder nicht? Das waren die Fragen, für deren Beantwortung eine hohe Delegation des amerikanischen Außenministeriums unter Leitung des Staatssekretärs für militärische Angelegenheiten, Robert Gallucci, seit dem 2. Juni in New York mit dem nordkoreanischen Staatssekretär Kang Sok Ju fast pausenlos konferiert hatte. Am Ende blieben die Gesprächspartner auf alle wichtigen Fragen eine Antwort schuldig.

Freilich sah Präsident Clinton das anders: „Es handelt sich um einen ersten, aber bedeutsamen Schritt“, pries Clinton die Tatsache, daß Nordkorea am Ende des New Yorker Verhandlungsmarathons – zumindest vorläufig – davor zurückschreckte, als erster Unterzeichnerstaat überhaupt aus dem Atomwaffensperrvertrag auszuscheiden. Die Premiere wäre am Samstag fällig gewesen, nachdem Nordkorea am 12. März seinen Austritt angekündigt hatte und eine dreimonatige Frist abgelaufen war, nach der der Austritt Rechtsgültigkeit erlangt hätte.

Nordkorea steht unter dem Verdacht, ein heimliches Atomwaffenprogramm zu unterhalten, nachdem die Regierung in Pjöngjang im Januar diesen Jahres Kontrollen der Wiener Atombehörde (IAEA) untersagt hatte.

Als „historischen Wendepunkt“ bezeichnete der nordkoreanische Verhandlungsführer Kang in New York die Ergebnisse seiner Mission. Damit dürfte er vor allem die Tatsache gemeint haben, daß sich die USA in einer gemeinsamen Erklärung mit den Nordkoreanern dazu verpflichteten, den bilateralen Dialog „auf gleichberechtigter und unvoreingenommener Basis“ weiterzuführen.

Seit dem Ende des Koreakriegs 1953 hatte das Regime von Diktator Kim Il Sung darum gekämpft, als diplomatischer Partner von den USA anerkannt zu werden. Dies ist nun auch in Form einer Prinzipienerklärung geschehen. Darin verständigen sich die USA und Nordkorea gegenseitig auf die Anwendung von Waffengewalt – inklusive Atomwaffen – zu verzichten. Zugleich verpflichten sie sich auf das Ziel, die koreanische Halbinsel zu einer atomwaffenfreien Zone zu machen.

Noch am Wochenende wurde die Vereinbarung von den am meisten betroffenen Regierungen in Seoul, Tokio und Peking einhellig begrüßt. In Südkorea, wo am Samstag ein Polizist bei einer Studentendemonstration für die Vereinigung mit dem Norden ums Leben gekommen war, erhoffte sich die Regierung nun auch Fortschritte beim innerkoreanischen Dialog. In Tokio sprach Außenminister Kabun Muto von einer „großen Hilfe für die Entspannung in Ostasien“.

Demgegenüber reagierte die japanische Öffentlichkeit außerordentlich kritisch. Als „weites Entgegenkommen“ der USA wertete das angesehene Wirtschaftsblatt Nihon Keizai die Ergebnisse von New York. Die Tageszeitung Mainichi Shinbun warf Washington eine „dilettantische Diplomatie“ vor, die vor dem Hintergrund jüngster außenpolitischer Rückschläge einen zu schnellen Kompromiß mit Nordkorea gesucht hätte.

Erst am Freitag war in Tokio bekannt geworden, daß die neue nordkoreanische Trägerrakete Rodong-1 mit einer Reichweite von 1.000km Ende Mai erstmals erfolgreich getestet wurde. Damit liegen die westjapanischen Großstädte bis einschließlich Osaka unter der Drohung einer eventuellen nordkoreanischen Atombombe. Eine neue Rakete, die Rodong-2 mit einer Reichweite von 1.300km, soll nach Angaben des japanischen Verteidigungsministeriums in kürzester Zeit auch Tokio erreichen können. Georg Blume