„Gesetzesänderungen nicht das Ziel“

■ Interview mit Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die FDP hat Forderungen nach erleichterter Einbürgerung und dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer teils bekräftigt, teils erstmals erhoben. Kommt das nicht etwas spät?

Leutheusser-Schnarrenberger: Diese Forderungen haben wir, zumindest was die doppelte Staatsbürgerschaft und eine erleichterte Einbürgerung betrifft, nicht zum ersten Mal erhoben. Bisher konnten wir sie aber nicht durchsetzen. Möglicherweise wird sich das jetzt ändern. Daß Innenminister Rudolf Seiters unsere Forderungen von Münster sofort pauschal abgelehnt hat, ist nicht hilfreich.

Ist es nicht Politikversagen, wenn erst nach den vielen ausländerfeindlichen Anschlägen überhaupt ernsthaft über dieses Thema diskutiert wird?

Nein, das glaube ich nicht. Diese integrationsfördernden Maßnahmen wirken langfristig. Da sind zehn Jahre noch überhaupt kein Zeitraum. Natürlich wäre es schöner, wir wären schon weiter.

Hat die Bonner Politik nicht lange unterschätzt, wie verbreitet der Ausländerhaß ist?

Es handelt sich in der Tat um Einstellungen von Ausländerhaß, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus – und nicht nur um einige Jugendliche, die wegen eines schwierigen sozialen Umfeldes keine Orientierung haben. Die Ursache liegt auch bei den Erwachsenen, die hätten verhindern müssen, daß sich solches Gedankengut wieder in Deutschland verbreiten kann.

Gehören zu den schlechten Vorbildern, die Sie angesprochen haben, auch solche Politiker, die Worte prägten wie die von der „durchraßten Gesellschaft“?

Das ist eine Formulierung, die in der Tat nicht zufällig vergessen worden ist. Genauso denke ich dabei an Worte wie „Überfremdung“, die Debatten ebenfalls mitbestimmt haben. Der Gebrauch solcher Begriffe kann dazu führen, daß sich diejenigen legitimiert fühlen, die Gewalttaten gegen Ausländer verüben.

Es haben sich jüngst aber auch hessische FDP-Landtagsabgeordnete mit Parolen wie „Überfremdung“ zu Wort gemeldet.

Das müssen wir innerhalb der Partei austragen. Ich selbst habe mich zum Umgang mit Sprache schon in der Asyldebatte geäußert und mich gegen Begriffe wie „Wirtschaftsasylant“ und „Scheinasylant“ gewandt.

Der Begriff „Asylant“ sollte nicht verwendet werden?

Nein, das sind Asylbewerber. Sie versuchen, ein Recht in Anspruch zu nehmen, das ihnen offensteht. Wenn sie die Voraussetzungen nicht erfüllen, bekommen sie es nicht gewährt. Der Versuch, ein Recht wahrzunehmen, ist völlig legitim und kein Mißbrauch.

Gehören zu Begriffen, die man meiden sollte, auch die wieder modern gewordenen eines „ehrlichen Patriotismus“ oder eines „gesunden Nationalismus“?

Diese Begriffe sollte man nicht in einer Reihe nennen. Patriotismus ist etwas anderes als Nationalismus. Ich spreche am liebsten von Verfassungspatriotismus. Ich folge da dem Bundespräsidenten. Aus der Verfassung kommt ja auch unsere nationale Identität. Die Verfassung ist kein Gefängnis, aus dem wir ausbrechen müssen, wie manche vielleicht meinen, sondern etwas, in dem wir uns wohl fühlen.

Nun wollen auch Sie mit schärferen Gesetzen gegen die rechtsradikale Gewalt vorgehen. Zeigt nicht gerade die Anzahl der Straftaten auch nach Solingen, daß die Angst vor Ergreifung und Strafe die Täter kaum abschreckt?

Was ich vorschlage, betrifft nur Randbereiche. Gesetzesänderungen und -verschärfungen sind für mich nicht die primäre Zielrichtung. Wir haben viele Gesetze und sind damit mit terroristischen Herausforderungen in ganz anderen Zeiten fertiggeworden. Einen Schwerpunkt legen sollten wir dagegen auf eine rasche Ergreifung der Täter, auf Prävention, auf die Ursachenanalyse und auf Wege, wie wir verhindern können, daß sich ausländerfeindliches Gedankengut weiter ausbreitet.

Die CDU will das Thema „Innere Sicherheit“ zum Wahlkampfthema zu machen. Drohen da unter der Überschrift „Ausländerkriminalität“ erneut ausländerfeindliche Untertöne im Wahlkampf?

Daß wir uns mit Fragen der Inneren Sicherheit und der Kriminalität beschäftigen müssen, ist ganz offenkundig. Das sollten wir ganz sachlich tun. Ich habe etwas Schwierigkeiten damit, daß in den Polizeistatistiken gesondert Ausländerkriminalität ausgewiesen ist. Selbstverständlich weiß ich, daß Ausländer auch Straftaten begehen. Aber es wird ja jeder, der gegen Gesetze verstößt, verfolgt, gegen ihn wird ermittelt, und er muß bestraft werden – egal, ob Ausländer oder Inländer. Bei Bürgern mit ausländischer Herkunft, die nur einen vorläufigen Aufenthaltsstatus haben, muß dann auch noch zusätzlich geprüft werden, ob nach dem Ausländergesetz Ausweisungsgründe vorliegen.

Was könnten Sie dazu tun, um diese Statistikpraxis zu ändern?

Ich bin als Justizministerin dafür nicht zuständig. Ich meine aber, daß wir über diesen Punkt nachdenken sollten. Interview: Hans-Martin Tillack