: Vier Schwerverletzte 1992
■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (13): Bei Unfällen wurden 1992 in der Warschauer Straße 14 Menschen verletzt / Gesellschaft zahlt jährlich über zwei Millionen Mark
Für viele ist es ein Ort, um eigenem Fernweh nachzuhängen: die Brücke der Warschauer Straße über die Schienen von Reichs- und S-Bahn. Ungewöhnlich lange lassen sich die Stränge mit den Augen verfolgen, zum Fernsehturm am Alex in der einen Richtung, an den Bahnsteigen entlang auf der anderen. Der Blick fällt zudem auf das Kult-Unternehmen Narva und weiter auf die Mauergalerie an der Mühlenstraße, deren Bruderkuß- Bild schon in fast jeder bedeutenden Tageszeitung zu bewundern war – beide Ansichten bieten Anlaß zu DDR-Nostalgie und Gefühlsaufwallungen ihrer Hasser.
Der Platz am Metallgeländer lockt zum Abschweifen in die Ferne, sei es nun die räumliche oder die zeitliche. Damit automatisch der Straße den Rücken zuzuwenden bietet sich auch an, denn deren Realität ist wenig attraktiv:
Die Warschauer Straße, die von der East-Side-Gallery zum Rathaus Friedrichshain führt, produziert jährlich mit die höchsten gesellschaftlichen Kosten durch Verkehrsunfälle. Über zwei Millionen Mark kosten die gerade mal 515 Meter, damit ist im Kosten-pro-Kilometer-Schnitt nur die Frankfurter Allee unter den Ostberliner Straßen noch teurer.
Zu diesem Ergebnis kamen die Gutachter, die noch vom rot-grünen Senat mit der Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr beauftragt wurden. Platz 9 nimmt die Warschauer Straße danach im Gesamtberliner Hauptstraßen-Netz ein.
Allerdings: Die Zahlen für Ostberlin stammen aus dem ersten Quartal 1990, in dem nach Meinung der Gutachter von „zum damaligen Zeitpunkt niedrigeren Reparaturkosten für Trabant und Wartburg“ auszugehen war. Damit müßte sich der unfallträchtige halbe Kilometer inzwischen auf einen noch mieseren Platz geschoben haben.
Die Daten vom letzten Jahr zeigen, daß die Autofahrer diesen traurigen Ehrgeiz offenbar auch weiterhin haben: 14 Menschen wurden auf dem kurzen Stück bei Unfällen verletzt, vier von ihnen sogar schwer. Das teilte Rolf Hirschmann, Sachbearbeiter für Verkehrsauswertung beim Statistischen Landesamt Berlin, auf Anfrage mit. Damit sei die Warschauer Straße im Verhältnis noch gefährlicher gewesen als die Frankfurter Allee, bei der es auf bald dreifacher Länge 29 Verletzte gegeben habe, fünf von ihnen mußten stationär in Krankenhäusern aufgenommen werden.
Mitarbeiter und Besucher des Rathauses Friedrichshain müssen somit als extrem gefährdet gelten, steht es doch genau an der Kreuzung dieser beiden Straßen und der Karl-Marx-Allee, in der im letzten Jahr vier Menschen schwer, acht weitere leichter verletzt wurden. Auch in der benachbarten Grünberger Straße, die als Nebenstraße verhältnismäßig ruhig wirkt, wurden 1992 acht Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt.
Wer seinem Fernweh an der Brücke noch mittels Urlaub nachgeben möchte, der sollte also gar nicht erst zur Straße zurückkehren, sondern besser gleich die Treppe hinuntergehen und dort die Bahn benutzen. Christian Arns
In der nächsten Folge raten wir von der Dudenstraße ab.
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