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Angst ist kein Argument

Mit den Abenteuerreisen der „Story Dealer“ ist es zunächst einmal aus, denn es gibt dafür kein Geld mehr. Die Behörden haben diese Unternehmungen zwölf Jahre lang gutgeheißen und finanziert, ziehen jedoch in jüngster Zeit ihr Wohlwollen zurück und bewerten das ganze Vorhaben auf einmal negativ. Daß die „Argumente“ für dieses Umschwenken nicht primär aus realistischen pädagogischen Erwägungen stammen, sondern eher aus Abziehbildern der heilen Welt, können wir uns beispielhaft an vier Vorwürfen klarmachen, die den Kern der Kritik an den „Story Dealern“ bilden.

1. Einige Kinder seien in diesen „Horrorlagern“ überfordert, empfänden vor allem bei nächtlichen Unternehmungen Ängste und trügen nun bleibende Schäden davon. Wer so redet, sollte nicht vergessen, daß Kinder in der heutigen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen massiv Ängsten ausgesetzt sind. Denken wir an den Leistungsdruck in der anonymen Massenschule, an die Unsicherheit auf der Straße, an die Gewalt der Kinder untereinander, an das oft zwiespältige Verhalten der Erwachsenen, die ihre eigenen Probleme an Kinder delegieren.

Wäre die Angst ein Kriterium dafür, etwas aus pädagogischen Gründen zu unterbinden, dann dürften generell Erwachsene den Kindern auch nicht chronisch Angst vor der Umweltzerstörung, vor dem Ozonloch oder sonstigen Katastrophen einjagen und sie damit in einen psychischen Aggregatzustand versetzen, in dem sie in der Tat alleingelassen werden. Demgegenüber ist es seit Beginn der Reformpädagogik ein Bemühen engagierter Pädagogen, Kinder eben nicht mit ihren individuellen Befindlichkeiten zu isolieren, sondern sie in einem Gruppenerlebnis eine andere, sonst nicht mehr zugängliche Wirklichkeit erfahren zu lassen. Diese Linie wird von den „Story Dealern“ fortgesetzt.

2. Die Märchenwelt der Lager sei eine konstruierte Wirklichkeit, in der sich Kinder nicht zurechtfinden. Was soll das heißen? Natürlich operiert jede pädagogische Maßnahme so, daß sie bis zu einem gewissen Grade Wirklichkeit konstruiert. Geschähe dies nicht, so blieben die Kinder der banalen Alltagswirklichkeit der Massenkultur ausgeliefert. Daß auch diese selbst weitgehend auf Illusionen, Täuschungen und Unwahrheiten beruht, wird nur nicht sogleich sichtbar.

Pädagogische Veranstaltungen sind Gegenkonstruktionen zu einer konstruierten und auf die Bedürfnisse eines Massenpublikums zugeschnittenen Gesellschaft. Daran, daß überhaupt Wirklichkeit erst hergestellt wird, etwa durch die Medien oder durch den Konsum- und Leistungsdruck, nimmt kaum jemand Anstoß, denn das geschieht überall und betrifft jedermann.

Die Erlebnis- und Abenteuer- Pädagogik will wenigstens ein kleines Gegengewicht gegen den Massensog der Gesellschaft bilden. Sie operiert so, daß sie einerseits die infrastrukturellen Bedingungen ihrer Veranstaltungen organisiert, andererseits aber den Kindern die Freiheit läßt, dort eigene Erfahrungen zu machen, die über den individuellen Horizont hinausgehen.

3. Die Erwachsenen spielten ihre Allmacht aus und manipulierten die Kinder wie Versuchskaninchen. Dies ist ein Eigentor, denn der Tenor dieser Kritik läßt eher das Gegenteil der Sorge vor solcher Manipulation erkennen, nämlich die Angst, es könne etwas nach konventionellen pädagogischen Kategorien Unübliches geschehen. Dagegen ist festzuhalten, daß Veranstaltungen, die einen sicheren Erfolg erzielen wollen, so etwa die Vermittlung bestimmter „Werte“, pädagogisch steril und gesellschaftlich totalitär sind. Wollten wir noch heute von einer heilen Welt ausgehen und in borniertem Perfektionsdrang alles untersagen, was Schwächen aufweist oder partiell kritikwürdig ist, dann wäre die Allmacht der Erwachsenen auf dem Höhepunkt angelangt.

4. Die „Story Dealer“ erfüllten möglicherweise die Tatbestandsmerkmale einer Sekte. Auch dies ist absurd. Denn eine Sekte zeichnet sich dadurch aus, daß sie ihre Anhängerschaft in eine chronische geistige (und materielle) Abhängigkeit versetzt, um sich gegen ein diffuses Heilsversprechen Macht, Einfluß und ökonomischen Gewinn zu sichern. Davon kann bei den „Story Dealern“ schon deswegen keine Rede sein, weil ihre Angebote ja von wechselnden Gruppen freiwillig wahrgenommen werden.

Fazit: Die Prämissen der Kritik sind fragwürdig. Die Kritiker tun so, als gäbe es die eine wahre Erlebnis-Pädagogik, die genau die gewünschten psychischen Wirkungen hervorzaubert. Eine solche Annahme rechnet mit voraussehbaren Resultaten und schließt die für jedes Erlebnis konstitutive Freiheit aus. „Richtige“ oder „falsche“ Erziehung gibt es selbst in Diktaturen nur auf dem Papier, nicht in der Wirklichkeit. Im übrigen relativiert sich die Kritik auch dadurch, daß ungewohnte Veranstaltungen natürlich stets breite Angriffsflächen bieten und den wohlfeilen Vorwurf, hier werde ein schädlicher Einfluß auf Kinder ausgeübt, geradezu herausfordern. Hüten wir uns also davor, ohne zwingenden Anlaß das Spektrum pädagogischer Angebote zu schmälern. Prof. Dr. Heinrich Kupffer

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