Mehr Abtreibungen auf Staatskosten

■ Mehr Frauen als bisher angenommen haben bei einer Abtreibung Anspruch auf „Hilfe in besonderen Lebenslagen“

Frauen, die die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch nicht selbst aufbringen können, müssen auch ab morgen weder bei ihren Angehörigen betteln noch auf Billigangebote moderner Engelmacherinnen zurückgreifen. Wie Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gestern mitteilte, haben mehr Frauen Anspruch auf „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ als gemeinhin angenommen.

Hierfür gelten andere Berechnungsgrundlagen als für die „Hilfe zum Lebensunterhalt“. Jede Frau, die nicht mehr als 926 Mark im Westen oder 830 Mark im Osten plus Miete verdient, hat laut Paragraph 79 des Berliner Sozialhilfegesetzes darauf Anspruch. Für jedes weitere Familienmitglied erhöht sich die Einkommensgrenze um 407 Mark. Eine Familie mit drei Kindern könnte so 2.555 Mark plus Mietkosten verdienen. „Wir verhandeln noch mit der Finanzverwaltung, um eine Lösung nach Paragraph 81 zu bekommen“, sagte Stahmer. Paragraph 81, für besonders schwere Fälle vorgesehen, sieht um etwa 500 Mark höhere Einkommensgrenzen vor.

Auch wird nur das Einkommen der Frau herangezogen, nicht das der Eltern oder des Partners. Ist eine Frau ohne jegliches Einkommen — als Hausfrau oder Schülerin etwa — reicht es aus, wenn sie dies dem Sozialamt mitteilt. Die Sozialämter sind angewiesen, so schnell wie möglich zu entscheiden. Ein entsprechendes Rundschreiben an die Sozialämter der Bezirke sei in Vorbereitung, sagte Stahmer. Ein Merkblatt zum Thema gehe morgen den Beratungsstellen, Bezirksämtern und Projekten zu.

Auch Frauen, die mehr verdienen, das Geld aber trotzdem nicht zur Verfügung haben, können sich an die Sozialämter wenden. Wenigstens eine Teilfinanzierung oder ein zinsloses Darlehen seien möglich, sagte Kreuzbergs Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Auf Wunsch können die Betroffenen bereits in den Beratungsstellen ihren Anspruch auf die Leistung prüfen und sich gegebenenfalls einen Termin beim Sozialamt vermitteln lassen. Auch nach dem Eingriff könnten die Frauen noch kommen. „Nur bezahlt haben dürfen sie noch nicht.“

Die Sozialämter übernehmen jedoch nur den in der Gebührenordnung vorgesehenen Satz für Abtreibungen. Derzeit kostet eine Abtreibung zwischen 400 und 1.500 Mark, je nachdem, ob sie ambulant oder stationär vorgenommen wird. „Da der Arzt jetzt mit der Patientin einen privatrechtlichen Vertrag abschließt, kann er aber auch mehr berechnen“, warnte Stahmer. Senat und Ärztekammer wollen so schnell wie möglich Richtlinien erarbeiten, um einen Preisboom zu verhindern.

Beide Politikerinnen betonten, daß eine Bescheinigung über die Beratung oder die Darstellung der Beweggründe der Frauen für ihre Entscheidung von den Sozialämtern nicht verlangt wird. „Lediglich die Unterlagen, die zur Feststellung ihres Einkommens benötigt werden, sind Gegenstand des Gespräches beim Sozialamt“, so Stahmer. Corinna Raupach