■ Die Gewalt in deutschen Kindergärten wächst
: Ein Kinderparadies gibt es nicht mehr

Hamburg (dpa/taz) – Die Neigung zur Gewalt hat jetzt auch die Jüngsten erfaßt: Schon die Kleinen im Kindergarten reagieren immer aggressiver, schlagen eher gezielt zu und beschimpfen sich grob. Wachsende Gewalt unter Schülern in Deutschland bereitet schon seit längerem Sorge. Aber selbst Dreijährige verhalten sich inzwischen zunehmend brutal gegenüber Spielkameraden. Diese Entwicklung wird besonders in den Ballungszentren der alten Bundesländer beobachtet. Als Gründe nennen ErzieherInnen und Verantwortliche vor allem eine Vereinsamung der Kinder und zuviel unkontrollierten Fernsehkonsum.

„In der Spielstunde werden Kämpfe aus Rambo-Filmen nachgespielt“, berichtet eine Erzieherin aus Köln. Auch in Sachsen-Anhalt ahmen die Drei- bis Sechsjährigen die Filmhelden „vom Trickfilm bis zum Horrorstreifen“ nach. „Im Fernsehen stehen die Männchen allerdings wieder auf, im Kindergarten beiben sie weinend auf dem Boden liegen“, so die Sprecherin eines Kinderhauses in München. In Baden-Württemberg stieg nach Angaben von Peter Scherer von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege die Zahl der zerbrochenen Brillen in Kindergärten in den vergangenen zehn Jahren um das 400fache. Es werden auch immer mehr Unfälle, die durch grobe Schubsereien ausgelöst werden, gemeldet.

„Hackordnungsrituale“ mit körperlichen Angriffen sind an der Tagesordnung. Der Frieden in der Kinderstube wird auch durch das Wegnehmen von Spielzeug, die Unfähigkeit zu teilen und einen ruppigen Umgangston gestört. Schimpfworte aus dem Fäkal- oder Intimbereich gehören heute zum Wortschatz vieler kleiner Kinder, wie der Experte für Kindergartenpädagogik, Heinz-Lothar Fichtner, in Hannover weiß. Nach Angaben des Sozialministeriums im Saarland fällt ein Drittel bis ein Viertel der Vorschulkinder durch Verhaltensstörungen auf, wie Aggressivität, Hyperaktivität oder Kontaktschwierigkeiten. Die Kleinen spiegeln damit ihr gesellschaftliches Umfeld wider; ein Kinderparadies gibt es für sie nicht. In mangelnder Zuwendung der Eltern, Scheidung, Überforderung von alleinerziehenden Müttern und Vätern, in der großen Zahl der Einzelkinder, aber auch in Arbeitslosigkeit, Verarmung und Wohnungsnot sehen die Experten die Ursachen. Nach Beobachtung einer Bremer Psychologin werden die Kinder selbst auch von Eltern oder Geschwistern verstärkt geschlagen. Kinder aus wohlhabenden Familien sind aufgrund von „Überbehütung“ nicht vor Störungen gefeit. Als typisches Problemkind von heute gilt der „kleine Tyrann“, dem keine Grenzen gesetzt sind und der ein Nein nicht hinnehmen kann.

Auch wenn sich auf dem Land die Kinder noch mehr austoben können als in der Stadt, sorgt auch dort in den Kindergärten das aus den Schulen bekannte „Montags- Syndrom“ erst mal für Chaos. Denn dann sind die Kleinen vom vielen Fernsehen am Wochenende völlig überfordert.

In Hamburger Kindergärten mit über 50 Prozent Ausländeranteil erwachsen aus unterschiedlichen Sprachen und Gewohnheiten zusätzliche Spannungen. Dagegen haben die ErzieherInnen im Südwesten mit ausländischen Kindern wenig Probleme.

Die ErzieherInnen in Frankfurt versuchen nach Angaben der Stadt mit mehr Elternabenden sowie verstärkten Gesprächen mit den Kindern auf die Neigung zur Gewaltanwendung zu reagieren. In München werden die Pädagogen in Fortbildungsseminaren auf die Aggressivität unter ihren Schützlingen vorbereitet. Fichtner kritisiert, daß es viel zu lange dauere, bis neue Forschungsergebnisse in der Ausbildung der KindergärtnerInnen berücksichtigt würden.