Eine Diktatur ohne sichtbaren Diktator

■ betr.: "Guatemalas Präsident entmachtet", "Schritte in die richtige Richtung", taz vom 3.6.993

betr.: „Guatemalas Präsident entmachtet“, „Schritte in die richtige Richtung“, taz vom 3.6.93

Der Tenor in den meisten Medien über die jüngste Putschentwicklung in Guatemala wird den Machthabern in diesem Land sicher große Freude bereiten. Das Verwirrspiel: Der Präsident putscht à la Peru und muß nun aufgrund der Forderung der Militärs zurücktreten, entspricht den typischen Machenschaften der Machthaber im Hintergrund. Guatemala ist keine „Bananenrepublik“, sondern ein reiches Land mit einer positiven Zahlungsbilanz. Allerdings ist der Reichtum in Händen einiger hundert Familienclans und vor allem in Händen einiger weniger Superreicher, wie des Milliardärs, Ex- Generals und Ex-Präsidenten Arana Osorio, die graue Eminenz im Hintergrund.

Der zurückgetretene Präsident Serano hatte nie die Macht. Das zeigen zum Beispiel seine zynischen Anschuldigungen gegenüber kritischen Journalisten, Studenten und Gewerkschaftsführern, die offen ihre Meinung sagten und sich damit in Lebensgefahr brachten. Wenn Serano diese Personen, statt sie zu schützen, als subversiv bezeichnete, sehe ich darin eine Anbiederung an die ultrarechten Machthaber. Denen hatte die Weltöffentlichkeit einen Streich gespielt, der sie in Wut versetzte, nämlich die Friedensnobelpreisverleihung an Rigoberta Menschu „Es ist eine Schande für unser Land, daß diese häßliche, dicke Indianerin den Preis erhält“ (Sprecher des Militärs).

Guatemala ist eine Diktatur ohne sichtbaren Diktator, und das nicht erst seit gestern.

Der Schwiegersohn von Arana Osorio, General Ortega Menaldo, ist wohl so eine Art Regierungschef seit Präsident Serano offiziell an der Macht ist. Er ist Chef der Präsidentengarde und des Militärischen Geheimdienstes. Ihm oblag der Schutz des Präsidenten. Tatsächlich oblag ihm der Präsident selbst, sein Terminkalender, seine Besucher, seine Eingangs- und Ausgangspost, ja sogar seine Privatschatulle.

Was auch immer in Guatemala passiert, ist klug eingefädelt. Da gibt man sehr viel Geld für eine New Yorker Public-Relation- Agentur aus, mit der Fragestellung, wie man Guatemala aus den Schlagzeilen der Weltpresse wegen Menschenrechtsverletzungen herausbekommt.

Die Rechnung der Machthaber ist aufgegangen: Das Militär ist Retter der Nation, der böse Präsident Serano muß außer Landes gehen. Figuren wie der Vizepräsident oder der Verteidigungsminister oder der Vizepräsident, ein Hardliner, bleiben. Tatsache ist, der Ausnahmezustand besteht, also Versammlungsverbot und Nachrichtensperre. Jetzt kann unauffällig die Säuberung der oppositionellen Kräfte beginnen, das heißt Entführung, Folter, Mord oder alternativ die Flucht ins Exil. Wolfgang Mengen, Köln