Das Ende der Fristenlösung

Heute tritt die Übergangsregelung zur Abtreibung in Kraft / Unsicherheit im Osten / Kann man im staatlichen Krankenhaus rechtswidrig handeln?  ■ Von Corinna Raupach

Berlin (taz) – In den gynäkologischen Stationen im Ostteil Berlins herrschte in den letzten Tagen Hochbetrieb. Viele Frauen nutzten die letzten Tage der Fristenregelung, um eine ungewollte Schwangerschaft kostenlos und legal zu beenden. „Viele Frauen in sehr frühen Stadien der Schwangerschaft wären sicher sonst erst in zwei Wochen gekommen“, sagt Wilfried Spenke, Chefarzt der Frauenklinik am Krankenhaus Weißensee. Wie es heute weitergehen soll, wenn die Übergangsregelung des Karlsruher Urteils in Kraft tritt, weiß niemand. Zu groß ist die Rechtsunsicherheit, verbindliche Regelungen gibt es noch nicht. „Es stellt sich doch die Frage, ob in einer staatlichen Klinik ein Eingriff durchgeführt werden kann, der offiziell als rechtswidrig gilt“, so Spenke. Auch die Ärzte, die sich nachsagen lassen müßten, sie täten ein, wenn auch straffreies, Unrecht, gerieten in Gewissenskonflikte.

Verwirrung herrscht auch an der Charité. „Ab morgen machen wir da gar nichts mehr“, sagte eine Krankenschwester gestern. Die Klinikleitung dagegen will weiterhin Schwangerschaftsabbrüche durchführen. „Das gehört zur Ausbildung, sowohl was den Eingriff selbst als auch was die Beratungstätigkeit angeht“, sagt Sprecherin Marlies Scheunemann. „Wir bewegen uns in einem luftleeren Raum“, sagt Harry Zich, stellvertretender Leiter der Köpenicker Frauenklinik. Viele Detailfragen sind für ihn ungeklärt. Ob das Beratungssystem im Ostteil der Stadt überhaupt schon ausreiche zum Beispiel, und auch, wie die Finanzierung in Zukunft geregelt werden soll. Fest steht, daß Frauen den gynäkologischen Eingriff als solchen zahlen müssen. „Aber wer zahlt die Vorsorgeuntersuchungen, die Medikamente, den stationären Aufenthalt?“

Die Ärztekammer Berlin hat in einem Schreiben an 1.500 FrauenärztInnen und AnästhesistInnen vorgeschlagen, diese Leistungen als zum Schutz der Gesundheit der Frau notwendig anzusehen und weiterhin von den Kassen zahlen zu lassen. Der Gesetzgeber habe nur die Leistungen ausgegliedert, die unmittelbar der Beendigung der Schwangerschaft dienen. „Das ist unseres Erachtens nur der gynäkologische Eingriff selbst“, sagt Vorstandsmitglied Ulrich Pape- Grupe. Nach der Gebührenordnung ergibt sich hierfür eine Summe von etwa 180 Mark.

Auch sollten die Kollegen prüfen, ob eine medizinische Indikation möglich sei, um einer Verschlechterung des psychosozialen und damit des allgemeinen gesundheitlichen Befindens der Frau durch eine ungewollte Schwangerschaft vorzubeugen. Mit Schwierigkeiten von seiten der Krankenkassen rechnet Pape-Grupe nicht. „Denen ist ist ein medizinisch sauberer Eingriff lieber als eine verpfuschte Abtreibung oder jahrelange Depressionen. Die Folgen sind nämlich wesentlich teurer.“

Ab heute ist es in den neuen Bundesländern möglich, Abtreibungen auch ambulant durchzuführen. Acht ÄrztInnen haben sich im Ostteil Berlins bislang um die Zulassung zu diesem Eingriff beworben. Reißen würde sie sich nicht darum, sagt Frauenärztin Frauke Kilias. „Aber viele Frauen würden schnell in die Klemme geraten, wenn es keiner machte.“ Ihre Patientinnen seien jetzt schon irritiert, suchten nach sichereren Verhütungsmitteln und machten mehr Schwangerschaftstests. „Die Fristenlösung war nicht das Schlechteste“, sagt die Frauenärztin. Die Patientinnen seien stets verantwortungsbewußt damit umgegangen. „Wer sich in eine Klinik begibt und einen komplizierten Eingriff unter Narkose vornehmen läßt, macht das nicht freiwillig und immer wieder.“ Ihr Kollege Königer hat auch die Erfahrung gemacht, daß Schwangerschaftsabbrüche ein schlechteres Mittel der Familienplanung gewesen seien. Doch die meisten hätten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. „Als Mann kann man sich sowieso nicht vorstellen, was eine Frau in einem Schwangerschaftskonflikt empfindet.“ Fehlende gesellschaftliche Rahmenbedingungen würden darüber hinaus jegliche Motivation der Frau untergraben, ein Kind zu bekommen.