Betrug an Arbeitslosen, ganz legal

■ Arbeitslosengeld wird samt fiktiver Kirchensteuer berechnet

Berlin (taz) – Jeden Monat prellt der Staat seine arbeitslosen BürgerInnen um schätzungsweise 60 Millionen Mark. Nach Berechnungen der Wochenpost geht den Betroffenen pro Jahr rund eine dreiviertel Milliarde Mark verloren. Bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes wird nämlich allen – egal welcher Religion sie angehören oder ob sie längst aus der Kirche ausgetreten sind – ein fiktiver Kirchensteuersatz vom Bruttoeinkommen abgezogen. Durch diesen Abzug, der 1992 sechs Prozent der Lohnsteuer betrug, verringert sich das Bruttoeinkommen, das für die Bemessung des Arbeitslosengeldes ausschlaggebend ist. Der Christ ist die Norm, wer ihr nicht entspricht, muß trotzdem büßen.

Das Verfahren ist nach Paragraph 111 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ganz und gar legal. Das Hessische Landessozialgericht hat die Praxis aber bereits 1985 beanstandet. Man könne schließlich nicht mehr voraussetzen, daß ArbeitnehmerInnen grundsätzlich Kirchensteuer bezahlen. „Der fiktive Kirchensteuerabzug bei konfessionslosen Arbeitslosen verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes,“ urteilten die Sozialrichter. Sie überwiesen das Verfahren an das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe. Da schmort es seit acht Jahren. Wie der Pressesprecher des BVG mitteilte, ist mit einer Entscheidung immerhin noch in diesem Jahr zu rechnen. Eine Erklärung, warum diese so lange auf sich warten ließ, blieb er allerdings schuldig.

„Ob der Arbeitslose eine Konfession hat, ist für unsere Berechnungen unerheblich“, sagt der Sprecher der Bundesanstalt. Er verweist darauf, daß bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes kein individuelles, sondern ein pauschalisiertes Nettoeinkommen zugrundegelegt wird. Zu geringfügigen Abweichungen vom tatsächlichen Nettoverdienst könne es zum Beispiel auch kommen, weil beim Abzug des Krankenkassenbeitrags vom Bruttoeinkommen ebenfalls ein pauschaler Betrag eingesetzt werde, im Einzelfall aber womöglich höhere oder niedrigere Beiträge gezahlt worden wären.

Der Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verteidigt das Verfahren ebenfalls. Das Arbeitslosengeld könne nicht individuell berechnet werden, dies würde wegen des größeren Verwaltungsaufwandes zu weitaus längeren Bearbeitungszeiten führen und die Betroffenen seien schließlich schnell auf Hilfe angewiesen.

Nach Auffassung der Bundesregierung und des Bundessozialgerichtes verstößt die Regelung nicht gegen das Grundgesetz, lautete letztes Jahr die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der SPD. Bonn wartet auf das Urteil aus Karlsruhe. Dorothee Winden