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Durch Polizei provozierte Nötigung?

■ Teilnehmerin einer Stresemann-Verkehrsdemo steht vor Gericht / Angeklagter erklärte: „Angst vor aggressiven Blechkisten“

Der Prozeß gegen Katrin Jürgens begann mit einem Eklat. Die zweifache Mutter mußte sich gestern vor dem Strafgericht wegen gemeinschaftlicher Nötigung verantworten. Sie hatte am 28. November 1991 an einer spontanen Verkehrsdemo teilgenommen. „Weil es für unsere Kinder ruhiger werden muß.“ Doch gerade die zum Gerichtstermin mitgenommenen Kinder sollten von Richterin Elke Stöhr ausgeschlossen werden. Begründung: „Das ist kein Kasperletheater, sondern eine ernste Sache.“

Erst nach erregter Diskussion wurden auch die Kinder als Teil der Öffentlichkeit zugelassen. Katrin Jürgens - seit dem tragischen Tod der zehnjährigen Nicola auf der Stresemannstraße in der dortigen Verkehrsinitiative engagiert - konnte endlich ihre vorbereitete Erklärung abgeben. Darin schilderte die 33jährige eindrucksvoll die gewaltigen Verkehrsbelastungen der Stresemannstraßen-Anwohner. „Hauptverkehrsstraßen sind Grenzen, deren Überquerung genau geplant werden muß.“ Ampelphasen würden nur auf die Bedürfnissen der Autos abgestimmt. „Man steht halb auf der Straße - schwupp ist schon wieder das rote Männchen da.“ Jedes zehnte Kind werde heutzutage in einen Unfall verwickelt. „Damit ihnen nichts passiert, dressieren wir unsere Kinder wie Zirkuspferde“, sagte die couragierte Frau und entschuldigte sich für ihre Tränen. „Ich bin noch Anfängerin.“

Der Vorwurf der Statsanwaltschaft: Nach einem Unfall am Fußgängerüberweg Neuer Pferdemark/Schanzentraße, bei dem eine Rentnerin angefahren wurde, blockierten 20 Menschen für ungefähr 45 Minuten die Straße. Eine von ihnen war Katrin Jürgens. Das Verfahren gegen sie sollte allerdings mit einer Geldbuße von 300 Mark eingestellt werden. Dagegen hat Frau Jürgens Widerspruch eingelegt. „Ich fühle mich unschuldig.“ Sie habe nichts gegen einzelne Autofaher: „Jeder hat wohl einen guten Grund, warum er fährt“. Doch die Masse an aggressiven Blechkisten mache ihr Angst. Der als Zeuge geladene stellvertretende Revierleiter der Wache 16, Günter Jaspert, bezeichnete die Demonstranten zwar als ausgesprochen freundlich. Dennoch seien Autofahrer aufgehalten worden.

Reicht das allein für den Vorwurf der Nötigung? Anwalt Manfred Getzmann sagt nein. Denn, „so lange die Demonstration nicht aufgelöst wird, ist sie vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt, kann den Tatbestand der Nötigung nicht erfüllen.“ Als die Polizei die Straße räumte, hätten dort aber keine Autos mehr gestanden. Dem widerspricht Staatsanwalt Stauder entschieden. Ein Mitglied der Verkehrsini vermutet: „Einige Autos wurden von der Polizei absichtlich nicht weggelassen, damit wir uns strafbar machen.“

Der Prozeß wird am 25.Juni fortgesetzt. Torsten Schubert

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