Liebe zum Extrem

Rüdiger Dittmann – einziger deutscher Teilnehmer am 64-Etappenlauf Los Angeles-New York  ■ Von Freddy Schissler

Kempten (taz) – Rüdiger Dittmann gehört längst zu jenen Leuten, denen nachgesagt wird, sie wären die letzten Abenteurer unserer modernen Zeit. Eiserne Typen, die Schmerzen ignorieren, mit verblüffender Selbstverständlichkeit den inneren Schweinehund überwinden und immer wieder neue sportliche Herausforderungen aus dem Hut zaubern.

„Ich liebe das Extreme“, sagt Dittmann und verrät sein neuestes Ziel, das alles bisher Geleistete locker in den Schatten stellt. Innerhalb von 64 Tagen will der 31jährige aus dem verträumten Kempten im Allgäu zusammen mit neun Amerikanern, einem Japaner, einem Franzosen und einem Marokkaner von Los Angeles nach New York (4.700 Kilometer) laufen.

Man muß schon zweimal nachfragen, um das Vorhaben dieser USA-Tour nicht mit einem verspäteten Aprilscherz zu verwechseln. Rüdiger Dittmann, er, der früher zu Studienzeiten sogar orthopädische Probleme beklagte, aber bald sein Herz an den Triathlon verlor, möchte in 64 Tagesetappen knapp 5.000 Kilometer im Laufschritt zurücklegen. „Ich bin einfach fasziniert von dieser Art des Sports“, klingt es beinahe wie eine Entschuldigung. Denn überall, wo der Allgäuer seine Geschichte vom etwas anderen Amerika-Abstecher erzählt, schütteln die Leute den Kopf und nehmen die Hand vors Gesicht, um einen Scheibenwischer zu imitieren.

Dittmann ist der einzige Deutsche, der die Qualkifikationsnorm für diesen mehr als hundertfachen Marathon erfüllte. Ein Mammut- Marathon, den die Läufer wohl ihr Leben lang nicht vergessen werden. Die ersten drei Wochen geht's durch die Mojave-Wüste. Bei 40 Grad im Schatten, den es dort ohnehin nur spärlich gibt. Täglich müssen sie um die 73 Kilometer zurücklegen.

Rüdiger Dittmann weiß, daß er seine Haut komplett abdecken muß, um sie vor Verbrennungen zu schützen. Er weiß auch, daß irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, wo erst der eine Fuß taub wird, dann der andere, und der Hals trocken. Es wird ein mörderischer Wettlauf mit dem eigenen Körper, bei dem die Plazierung keine Rolle spielt. „Ich will nur ankommen“, wünscht sich der 31jährige. Am 19. Juni fällt in Los Angeles der Startschuß und am 21. August – so Gott und die Füße wollen – erreichen die 13 Läufer das Ziel in der Millionen-Metropole New York. Zur Übernachtung dienen Schulen und Turnhallen, an fünf Tagen müssen die Ultra-Sportler in freier Wildbahn am Rande der Highways campen.

Dittmann liebt es, stundenlang zu laufen und die Natur zu genießen. Dabei könne er am besten abschalten, versichert er, für ihn sei das eine Art Meditation. „Ich denke dann oft über meine Zukunft nach“, sagt der Vegetarier. Und natürlich, gibt er zu, habe diese Tour quer durch die USA viel mit Selbstbestätigung und anschließender Selbstzufriedenheit zu tun. Es sei die Einmaligkeit eines solchen Rennens, die ihn reize.

Deshalb ist ihm auch der hohe Preis wurscht. Neben den gesundheitlichen Risiken („Natürlich rechne ich damit, daß Muskulatur und Sehnen mal streiken können.“) kommt auf ihn eine gesalzene Rechnung zu. 8.000 Mark dürfte der ganze Spaß kosten.

Über zwei Monate ist der deutsche Vertreter beim wohl außergewöhnlichsten Wettrennen auf sich allein gestellt. Allein im weiten Westen, allein auf dem Weg über die Rocky Mountains, allein auf den öden Highways mitten durch das Landesinnere. In diesen Momenten des Lebens, erzählt Rüdiger Dittmann, „mußt du fähig sein, dich mit dir selbst zu beschäftigen und dich selbst anzutreiben.“ Nur wer nicht aufgibt im Kampf gegen den eigenen Körper, der sich eigentlich nach Ruhe und Entspannung sehnt, besitzt eine (minimale) Chance, das Ziel in New York zu erreichen.