Am Kratzbaum der Geschichte

Alles über die Angela Davis des Karate-Films in: „Dragon – Die Bruce Lee Story“  ■ Von Harald Fricke

Es bleibt auch zwanzig Jahre nach seinem Ableben ein Rätsel, warum sich die Linke in Deutschland nicht auf die Seite von Bruce Lee als dem wahren Kulthelden des Siebziger-Revolutions-Kinos geschlagen hat. Jede maoistische K-Gruppe hätte mit Lee als Leitfigur und Kung-Fu als entsprechend völkerverständigendem Nahkampftraining die Jugend der bundesrepublikanischen Kleinstädte gleich scharenweise rekrutieren können. Der Aufstand wäre – nur mit einem Paar Tschakkos und dem gewissen Hauch von Zen bewaffnet – machbar gewesen. Statt dessen liefen die Filme neben den Nonstop-Erotikprogrammen in den Bahnhofkinos, während sich die Zellenleiter mit Aguirres' Zorn ideologisch herumschlugen.

Den Lauf der Geschichte des Kung-Fu auf dem Weg zu den Massen wird auch die Verfilmung der Biographie „Bruce Lee: The Man Only I Knew“, so wie er sich für Linda Lee dargestellt haben mag, nicht mehr umbiegen. Das Original bringt selbst die posthume Würdigung durch Hollywood nicht zu Fall. Bruce Lee kam, schlug zu, siegte und starb, noch bevor ihn Nixon oder Kissinger als bilaterales Friedenssymbol bei den Verhandlungen in Vietnam hätten einspannen können. Eine ähnlich unbeugsame Legende erzählt der Film von Rob Cohen, der in „Running Man“ immerhin schon Arnold Schwarzenegger in die Rolle der moralisch integren Kampfmaschine zwängen konnte. Zwar versteht sich auch „Dragon – Die Bruce Lee Story“ eher als klug investigative Fabel über den Alltagsrassismus in Amerika, nur hat Lee die ihm zugewiesene Rolle des Opfers selbst nie akzeptiert. Davor bewahrten ihn seine fists of fury. So soll er während der Aufnahmen zu „Enter The Dragon“ eine Bande amerikanischer Rednecks verdroschen haben. Benimmt sich so ein Opfer?

Bei Cohen fliegt Jason Scott Lee (weder mit dem Idol verwandt noch verschwägert) manchmal sogar ein wenig schneller als das Original durch die Kampfhandlungen, und entblößt seinen Oberkörper mit dem gleichen Sex-Appeal, mit dem Lee seinerzeit an die Grenze der Pornographie gerückt war. Männer zeigen wollüstig wie eine rollige Katze jaulend ihre Brüste, zwanzig Jahre vor Chippendales.

Die Handlung verläuft wie die Lebensgeschichte im Wechselspiel von Übung und Praxis. 1949 beginnt der neunjährige Lee mit dem Training am Kratzbaum, zwölf Jahre später mischt er im Alleingang die halbe Schiffsbesatzung eines britischen Kriegsschiffs auf und muß vor den Kolonialherrn von Hongkong nach Amerika fliehen. In San Francisco erhofft er sich eine Karriere als Tellerwäscher, die aber schon bald im Bett endet, weil die Frauen immer nur das eine von ihm wollen, und Lee vor lauter Triebabfuhr nicht mehr dazu kommt, den Fortgang des amerikanischen Traums bei Hemingway nachzulesen. Noch kann er sich nicht zwischen Sex und Studium entscheiden, aber dann siegt schließlich nicht nur im Film Hegel über das Delta der Venus.

Ein bißchen Natur bleibt dem Burschen dennoch erhalten: An der Universität gründet er eine multikulturelle Martial-Arts- Kampfsportgruppe für alle Hautfarben, der sich seine spätere Ehegattin Linda als erfolgreich emanzipierte Frau anschließt. Mit Selbstverteidigung hat sie allerdings ebensowenig im Sinn wie mit der fernöstlichen Philosophie, die Lee mit jedem Handkantenschlag predigt. Zunächst will auch Linda nur seinen formschönen Körper bis ins letzte Detail ausprobieren, später wird ein gemeinsames Sportstudio daraus, und Linda bekommt ein Baby. Da kann sich selbst ihre auf Rassentrennung fixierte Mutter Tränen der Rührung nicht verkneifen. Dropouts im Glück.

Es gibt natürlich noch eine dunkle Seite, die der Film zeigt: etwa den furchterregenden Dämon aus einer früheren Dynastie, der Lee solange nach dem Leben trachtet, bis dieser zu den Tschakkos greift; oder die asiatische Minderheit in den USA, der es überhaupt nicht gefällt, daß der gelehrige Faustkämpfer aller Welt die Geheimnisse der Selbstverteidigung preisgibt. Doch auch die Wirbelsäulenbrüche, die sich Lee beim Duell in Chinatown zuzieht, gehen vorüber. Am Ende siegt der Geschäftssinn seiner Frau, und Bruce schreibt die zweitausendjährige Geschichte der Martial Arts vereinfacht für den Hausgebrauch um – als Pop-Remix. Doch die Sixties- Story um die Verschmelzung von high und low culture wird im Film erst vollkommen, als ein Hollywood-Produzent 1966 auf die Körperakrobatik des Kung-Fu-Meisters aufmerksam wird. Es ist die Geburtsstunde des Eastern, in dem Lee jedoch zunächst nur die Nebenrolle zugewiesen bekommt. Der erste Kung-Fu-Star Amerikas hieß David Carradine.

Man hätte die Geschichte auch anders erzählen können, schließlich hat Lee seine Karierre in Hongkong und nicht in Hollywood gemacht. In seinen besten Hongkong-Produktionen (nur „Der Mann mit der Todeskralle“ entstand 1972 unter amerikanischer Regie) agiert Bruce Lee unberechenbar, bauernschlau und voller blutrünstigen Jähzorns, den sonst nur Revolutionäre besitzen – wie ein vom Teufel besessener Robin Hood oder wie ein zutiefst sympathischer Fernost-Rambo mit Grundkenntnissen in Sachen Gesellschaftskunde (in „Die Todesfaust des Cheng Li“ befreit der Kämpfer im Alleingang die Belegschaft einer Eisfabrik aus der Unterjochung durch deren Besitzer, einen amerikanischen Rauschgifthändler). Er hätte so wie Angela Davis Held der DDR werden können, dessen „system of fighting“ zeitlebens das „system of thoughts“ blieb – auch wenn Frau Lee sich in ihren Memoiren behauptet, sie sei die treibende Kraft in seinem Leben gewesen.

„Dragon – Die Bruce Lee Story“ von Rob Cohen, USA 1993. Mit: Jason Scott Lee, Lauren Holly u.a.