Südafrika: Der Auszug der Reaktion

Rückschlag bei den Verhandlungen über die Zukunft des Landes / Streit um Wahlen und Verfassung / Konservative Schwarze und rechtsradikale Weiße zogen aus  ■ Aus Johannesburg Bartholomäus Grill

Der große Augenblick ist gekommen. Johannesburg, World Trade Center, Dienstag, zehn vor sechs, Tagesordnungspunkt Wahltermin: Der Verhandlungsrat schickt sich an, einen Meilenstein auf dem Weg in ein neues, demokratisches Südafrika zu setzen. Werden die Unterhändler den 27. April 1994 empfehlen? Soll das der Tag sein, an dem alle Südafrikaner an die Urnen gehen und das Buch der Apartheid ein für allemal schließen werden?

Nein, da macht ein Tom Langley nicht mit! Just als der Vorsitzende des Runden Tisches zu diesem Punkt der Agenda drängt, rafft der Emissär der Konservativen Partei seine Papiere zusammen, stopft sie in die Aktentasche – und geht mit einem unergründlichen Grinsen aus dem Saal. Dann stehen zehn, zwölf Emissäre anderer Parteien auf und folgen ihm. Was nun? Roelf Meyer, der Verhandlungsführer der regierenden Nationalen Partei schaut ratlos hinüber zu Cyril Ramaphosa. Weitermachen!, signalisiert der Leiter der ANC-Delegation.

Schlag sechs Uhr empfiehlt der geschrumpfte Verhandlungsrat den 27. April 1994 als Wahltag. Gegenstimmen: keine. Die Gegenstimmen haben sich zu diesem Zeitpunkt nebenan versammelt und schimpfen in die Mikrophone: So nicht. Wir lassen uns nicht überrollen!

Es sind die Unterhändler einer merkwürdigen Koalition, die sich unter dem Namen Cosag (Concerned Southern Africans Group) zusammengeschlossen haben. Zu diesem Bund gehören die Regierungen der von Pretorias Gnaden selbstverwalteten oder unabhängigen Homelands Bophutatswana, Ciskei und KwaZulu, Chief Buthelezis Inkatha-Freiheitspartei, die Konservative Partei und die Afrikaner Volksunie (AVU) – konservative Schwarze und rechtsradikale Weiße, die gemeinsam auszogen, das neue Südafrika zu torpedieren.

An diesem Dienstag hatte Inkatha eine umstrittene Resolution in den Verhandlungsrat eingebracht. Sie fordert die Aufschiebung des Wahltermines, „solange der Verhandlungsrat keinen endgültigen Beschluß über die künftige Staatsform und den Prozeß der Verfassungsentwicklung, der zu diesen Wahlen führen soll, gefaßt hat“. Hinter diesem Verhandlungschinesisch verbirgt sich die unzweideutige Forderung, erst einmal die Fundamente einer föderalistischen Staatsordnung zu zementieren, in der die Länder alle Macht haben und der Bund so gut wie keine. Die 26 Parteien am Verhandlungstisch mögen also zunächst einen Verfassungsentwurf vorlegen, der die Gestalt des künftigen Staates genau definiert; sodann solle in einem Referendum über diesen Entwurf abgestimmt werden; dann könne nach Geist und Buchstaben der neuen Verfassung gewählt werden.

Hintergedanke bei diesem sogenannten Ein-Stufen-Modell: Es würde ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht einzelner Volksgruppen garantieren – ein Ländle für die Zulu, eins für die Buren, eins für Xhosa. Die Weißen könnten ihren exklusiven Volksstaat aufbauen, in dem die Apartheid fortlebt, die schwarzen Potentaten behielten ihre Bantustans – und eine wie auch immer geartete Zentralregierung hätte ihnen nichts mehr dreinzureden. „Wir weigern uns, in eine unsichere Zukunft zu gehen“, knurrt der AVU- Mann Chris de Jager.

Föderalismus ja – aber nicht um den Preis einer „Balkanisierung“ Südafrikas, halten die Verfechter des Zweistufenmodells dagegen. Ihr Plan sieht vor, daß ein Verhandlungsrat, der nicht das Mandat der Bevölkerungsmehrheit hat, sich lediglich auf die groben Prinzipien einer Übergangsverfassung einigen könne. Im zweiten Schritt müsse ein von allen Südafrikanern gewähltes Parlament, das zugleich die verfassungsgebende Versammlung verkörpert, eine neue Konstitution festschreiben.

„Wir können doch nicht das Dach decken, wenn noch keine Grundmauern stehen“, sagt ein NP-Vertreter. Seine Partei, der ANC und die Majorität der 26 Delegationen am Verhandlungstisch stehen hinter dem Zweistufenmodell, auf das man sich im Prinzip schon Anfang Juni verständigt hatte. Der Konsens wurde als entscheidender Durchbruch gefeiert. Am Dienstag warf der Cosag- Stoßtrupp just diesen Konsens in den Papierkorb. Doch der Bund der Bremser erlitt eine deutliche Niederlage, als der Runde Tisch über die von ihm unterstützte Resolution der Inkatha-Abgesandten abstimmte: 15 zu 8 Stimmen dagegen, drei Enthaltungen. Es kam zum Eklat und die Cosag zog aus.

Roelf Meyer und sein Counterpart Cyril Ramaphosa, die Antreiber der Demokratisierungsgespräche, wirkten ziemlich betreten. Es schien, als würden der Regierungsmann und der ANC-Vertreter aus dem gleichen Textbuch vorlesen. Beide bedauerten den Auszug der Cosag-Leute, beide hofften inständig, da sie am heutigen Donnerstag an den Verhandlungstisch zurückkehren mögen. Und keiner wollte noch mehr Porzellan zerschlagen. Nein, beteuerten ihre Sherpas unisono, der Verhandlungszug sei nicht entgleist, sondern habe nur ein bißchen Verspätung. Der verärgerte Kommunistenchef Joe Slovo nahm indes kein Blatt vor den Mund: „Was wir heute gesehen haben, ist keine Verhandlungsethik, sondern die Ethik von Raufbolden.“

Fest steht: der Auszug der Konservativen ist der bislang empfindlichste Rückschlag, den die wiederaufgenommenen Mehrparteiengespräche seit dem 1. April hinnehmen mußten. Weder die Erschütterungen nach der Ermorderung von Chris Hani, noch die Nacht- und Nebelaktion der Polizei gegen Anhänger des am Runden Tisch sitzenden Pan Africanist Congress, haben derartige Risse im fragilen Gefüge der Verhandlungen angerichtet. Ein diplomatischer Beobachter stellte am Ende dieses stürmischen Tages die zynische Frage: „Muß wieder ein politischer Führer umgebracht werden, damit sich die Unterhändler der 26 Parteien endlich zusammenraufen?“