Milliarden-Opfer für Inflation

Brasiliens neuer Wirtschaftsminister Cardoso ruft seine Landsleute zum Sparen auf / Staatsbetriebe sollen privatisiert werden  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Nicht mit einem Plan, sondern mit einem Prozeß will Brasiliens neuer Wirtschaftsminister Fernando Henrique Cardoso die hartnäckige Inflation der zehntgrößten Industrienation bekämpfen. In einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache versuchte der Minister zu Wochenbeginn, den allgemein im Land grassierenden Pessimismus zu verscheuchen.

Voller Zuversicht verkündete Cardoso seinen Landsleuten, daß sechs Milliarden US-Dollar von dem diesjährigen Haushalt in Höhe von insgesamt 345 Milliarden Dollar gestrichen werden müssen. Um die zerrütteten Staatsfinanzen zu sanieren, will der Wirtschaftsminister außerdem Jagd auf die zahlreichen brasilianischen Steuerhinterzieher machen, das lahmgelegte Privatisierungsprogramm wieder ankurbeln und bei den Ländern und Gemeinden gnadenlos die Schulden gegenüber dem Bund eintreiben.

„Es ist nicht nötig, die Steuerhinterzieher zu erhängen, wir sind schließlich ein Rechtsstaat. Doch ich sähe den einen oder anderen zu gerne im Gefängnis“, gab der Wirtschaftsminister seine Wünsche preis. Gleichzeitig appellierte er an die „unpatriotischen Brasilianer“ ihren zivilen Widerstand zu überdenken und die auf gesperrten Konten eingezahlten Abgaben doch dem Staat zu überweisen.

„Die Inflation wird sinken, Schluß, Punkt, Ende“, beschwört Cardoso die skeptischen Brasilianer, die schon seit über einem Jahr mit monatlichen Inflationsraten von 30 Prozent zurechtkommen müssen. Der Soziologe, vierter Wirtschaftsminister Brasiliens innerhalb von acht Monaten, diente bis vor zwei Wochen Präsident Itamar Franco noch als Außenminister. Mittlerweile wird er bereits mit seinem erfolgreichen argentinischen Amtskollegen Domingo Cavallo verglichen.

Cavallo übernahm im Nachbarland vor zwei Jahren das Ruder. Die wirtschaftliche Lage Argentiniens war damals so verfahren, daß Investoren sich nicht einmal mehr stundenweise für die massenhaften staatlichen Schuldentitel Argentiniens interessierten. Cavallo verordnete dem Land eine brutale Roßkur und koppelte den Umlauf der nationalen Währung Peso an die Auslandsreserven in Devisen. Die sogenannte Dolarisierung machte die argentinische Hauptstadt Buenos Aires nach Tokio zum teuersten Pflaster der Welt und drückte die Inflationsrate auf weniger als ein Prozent im Monat.

Zwar hat der brasilianische Wirtschaftsminister von vorneherein eine Dolarisierung für Brasilien ausgeschlossen. Doch die Verschleuderung von Omas Erbgut, wie der Verkauf von Staatsbetrieben in Argentinien genannt wird, soll nun auch in Brasilien vorangetrieben werden. Um das Loch von umgerechnet 16 Milliarden Dollar im Staatshaushalt zu stopfen, will Cardoso 160 Staatsbetriebe aus den Bereichen Stahlproduktion, Elektrizität, Schienentransport und Petrochemie in private Hände übergeben. Von dem Verkauf verspricht sich die brasilianische Regierung Einnahmen in der Größenordnung von 14 Milliarden Dollar, die meisten allerdings in Form von Schuldentiteln.

Ob dem ehemaligen Außenminister der Stimmungsumschwung zugunsten der brasilianischen Regierung gelingt, ist jedoch fraglich. Rios Gouverneur Leonel Brizola stimmt zwar mit dem Sparprogramm überein, doch befürchtet er, daß die von Cardoso geforderte „neue Haltung“ einen fruchtbaren Nährboden für „drastischere Maßnahmen“ vorbereiten soll. Der Vorsitzende des mächtigen Unternehmerverbands Fiesp aus Sao Paulo, Carlos Eduardo Moreira, lobte die Fernsehansprache des Wirtschaftsministers: Endlich einmal würde die Regierung bei sich selber anfangen zu sparen und nicht den Unternehmern zusätzliche Opfer aufdrücken.

Vincente Paulo da Silva, Vorsitzender der Metallergewerkschaft im Industriedreieck Sao Paulo, ist von den Sparmaßnahmen Cardosos weniger angetan: „Statt zu privatisieren, sollte der Minister die Staatsbetriebe moralisieren. Außerdem fehlt in dem Plan eine Politik der Vermögensumverteilung, die das Wirtschaftswachstum anregt und Arbeitsplätze schafft.“