Fick-Gesellschaft

■ Reza Abdoh, das jüngste Enfant terrible desamerikanischen Avantgarde-Theaters, tourt durch Europa

Ein junger Mann aus New York macht die Presse heiß: Reza Abdoh, iranischer Einwanderer, verwandelt das Theater in ein Schlachthaus, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Auf Video- Bildschirmen wird die Präparation einer menschlichen Leiche gezeigt – die Entfernung der Haut über der Brust in drei Schnitten, die Arettierung der blutleeren Eingeweide, vom Hals herauf wird die Kopfhaut abgezogen. Das Video ist in jedem medizinischen Fachversand erhältlich, die Obszönität ist perfekt; selten sah ein Publikum derart gefesselt zweitklassigen Tänzern zu. Immer bemüht, den Blick vom Präparations-Video fernzuhalten, ihn auf die Bühne selbst zu richten, auf der sich Reza Abdohs Gruppe „Dar A Luz“ nicht gerade zur tänzerischen Glanzleistung emporschwang.

Der kalt dokumentierte Horror ist eine Reaktion auf Amerikas Neigung zur Zensur, auf die so rigorose wie hysterische Ablehnung der Darstellung nackter Körper. Die amerikanische Hoffnung auf unschuldigen Sex brachte eine nicht minder puritanische Madonna hervor, eine keusche Sex- Lib-Haltung, die aufklärerisch gedachten Provokationen von Annie Sprinkle oder die Busen-und- Scheiße-Zelebrationen einer Karen Finley. Menschenverachtende Pornographie unterm Ladentisch, dazu passend eine neue Lolita- Welle erotisch gemeinter Unschuld und nun – Reza Abdoh.

Europa ist ein offener Markt für die Ausbrüche Amerikas aus seiner verklemmten Geisteslage. Dankbar nimmt die Presse jedes Po- und Busen-Spektakel unter ihre Fittiche, um damit jenen Reiz des Obszönen, des wörtlich Unsichtbaren, zu versprechen, der nach amerikanischem Vorbild „Skandal“ genannt wird. Meist wird der europäische Betrachter der amerikanischen Scandal-Produkte allerdings enttäuscht: Importe aus Amerika verkleiden ihre Lustprodukte in stets neue Unschuldshüllen. Der Genuß des Körpers unterliegt in den Staaten einem so grundsätzlichen Tabu, daß die Travestie, die ironische Enttäuschung über eine erotische Erwartung, meist das höchste der sexuellen Gefühle in der Kunst bleiben muß.

Reza Abdohs Spektakel-Theater ist ein Spiel mit eben diesem erotischen Dilemma der Amerikaner. Seine Travestie funktioniert als Hochgeschwindigkeitsspektakel. Die Musik eines Speed-Metal- Konzerts hetzt das Grauen und die Lust am Körper zu Tode. Ob hinter einem Drahtzaun ein Vibrator im Unterleib einer Frau verschwindet oder sich die Bande von 14 Tänzern und Tänzerinnen in Sekundenschnelle entblößt, ob sie sich Dildos umschnallen und hilflose Fickversuche unternehmen, gleich welches Tabu sie vor dem Publikum zu brechen scheinen – es geschieht in der Geschwindigkeit eines schnellen Video-Cuts: Stets schaut das Publikum in eine Überzahl gleichzeitiger Handlungen und Bewegungen, auf Busen und Schwänze. Die obszönen Offenbarungen der Lust erreichen das Publikum als Sturmböe, die in Sekundenschnelle an ihm vorüberbraust. Die Travestie hier ist nicht die Verkleidung oder Enttäuschung, sondern das Furor der Geschwindigkeit, das dem Publikum vorgibt, alles zu zeigen, die erotischen Körper in Permanenz verwandelt und sie dem Publikum sofort wieder entzieht.

Eine lebendige Metapher für die Katastrophen des amerikanischen Puritanismus, aber auch für die Gewalt der Verklemmtheit. Reza Abdoh untermischt die Theaterbilder mit den Figuren Andy Warhols und des Serienmörders Jeffrey Dahmer – dem Todessehnsüchtigen und dem Kannibalen als Leitfiguren der Subkultur. Jeffrey Dahmer tötete mindestens 17 Menschen und aß sie. Warhol hatte stets dem Geheimnis des Todes auflauern wollen. Der 29jährige Abdoh lauert nun ebenso, seit er vor vier Jahren erfuhr, HIV-infiziert zu sein. Sein Theater scheint von der Hektik erfaßt, als Irrer gegen die verbliebene eigene Zeit aninszenieren zu müssen. Die Welt ist eine Hölle, die Show heißt „The Law of Remains“ – das Gesetz der sterblichen Reste.

Warhol im grauen Perückenmop und Jeffrey Dahmer im „Kyrolan-Spezialfilmblut“-Kostüm finden sich im grellen Theaterhimmel. Ronald Reagan mit einer eingefrorenen Dauerreaktion als Fickpuppe im Kühlschrank wird den Kettensägen-Dahmer heiraten. Das Paradies der Perversion ist ein Tanztheater der unerfüllten Wünsche. Sie entladen sich im Tod wie die Metall-Innereien einer Maschinenpuppe.

Die Presse ist begeistert von Reza Abdohs Spektakel. Auch wenn ihm jede präzise Bewegungschoreographie abgeht, wenn die magische Seite eines Höllentheaters, wie sie Tedeusz Kantor herzustellen vermochte, Reza Abdoh noch vollständig fehlt, wenn die alleinige Andeutung von Horror, Gewalt, Sex und Tod eher Assoziationsketten als Intensitäten hervorrufen. Denn in Reza Abdohs Biografie finden die Journalisten reichlich Gründe für sein „perverses“ Theater: 1964 als Sohn eines wohlhabenden Iraners, eines Boxers und Bowlinghallen-Betreibers und einer jungen Italienerin geboren, reißt er mit 13 von zu Hause aus. Er erträgt die beinahe gelangweilte Brutalität seines Vaters nicht. Mit 15 beginnt er zu inszenieren, um seine Mord-und Ekelgedanken auf die Bühne zu bringen und um nicht wirklich kriminell zu werden.

Der Durchbruch gelingt ihm 1989 in Los Angeles mit „Minamata“, einer wütenden Tanztheater-Montage über die Quecksilbervergiftung japanischer Fischer. Das Los Angeles Theatre Center behandelt ihn nun wie die Entdeckung des Jahrhunderts, was den Ruin des Theaters jedoch nicht aufhalten kann. Abdoh geht nach New York, entwickelt dort das Konzept des Prozessionstheaters – das Publikum zieht mit den Schauspielern von Spielort zu Spielort – und gründet 1992 die Gruppe „Dar A Luz“ („Licht geben“, „gebären“). Deren Erstling „The Law of Remains“ tourt nun durch Europa.

Reza Abdoh ist weniger ein Star am sterbenden amerikanischen Avantgarde-Firmament als eine gewittrige Entladung an der grotesken Front amerikanischer Kunstfeindlichkeit. Seine sinnliche Fantasie verdichtet sich im Speed- Rock zur hämmernden Attacke gegen die Puristen – ohne diese erregen zu können. Die gewaltige Energie, die Abdoh in sein Stück investiert, erreicht seine Tänzer und das Publikum allein aus den Lautsprecherboxen. Die Kraft der Akteure speist sich aus der Dröhnung der Bässe, nicht (oder noch nicht) aus ihnen selbst. Ihr krakeeliger Mut der Verausgabung und Entblößung ist ein wütendes Aufstampfen gegen die Knebelungen einer kunst- und geschlechtsarmen Quick-Fick-Gesellschaft.

Der Erfolg Reza Abdohs in Europa ist allerdings herbeigesprochen. Was das ungleich verwöhntere Publikum bei uns eher fordern wird, ist die echte Intensität, die gelungene Spannung eines nicht nur wütend um sich schlagenden Selbstbefreiers. Arnd Wesemann

„The Law of Remains“: Regie: Reza Abdoh, Bühne: Sonja Balassanian, Kostüme: Liz Widulski, Alix Hester. Weitere Gastspiele im Juli in München und Hamburg