Europa will neue britische WAA nicht

PARCOM verabschiedet Empfehlung gegen neue Atomanlage THORP in Sellafield / Diplomatischer Sieg für Iren und Dänen / Entsorgung deutscher AKW in Frage gestellt  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Die europäischen Mitgliedsstaaten der Pariser Kommission zur Abwehr der Meeresverschmutzung (PARCOM) empfehlen der britischen Regierung die neue atomare Wiederaufarbeitungsanlage THORP in Sellafield vorläufig nicht in Betrieb gehen zu lassen. Die Regierungen von Irland und Dänemark haben damit auf der Sitzung der Pariser Kommission in Berlin einen wichtigen diplomatischen Sieg gegen die sieben Milliarden Mark teure Atomanlage errungen. Auch die Bundesrepublik und die Niederlande stimmten für eine entsprechende Empfehlung, die erst dadurch die notwendige Dreiviertelmehrheit erhielt.

Greenpeace-Atomexperte Roland Hipp wertete die Entscheidung als „vorläufiges Aus“ für die neue WAA in Sellafield. Nach der Inbetriebnahme von THORP hätten die Anlagen von Sellafield jährlich 27,5 Millionen Curie Radioaktivität (ein Curie entspricht 37 Mrd. Bequerell) an die Umwelt abgegeben.

Bei der Atomkatastrophe in Tschernobyl wurde Europa nach offiziellen Angaben mit 50 Millionen Curie verstrahlt. Während das britische Gesundheitsministerium in den vergangenen Wochen öffentlich Besorgnis über die steigende radioaktive Belastung durch THORP geäußert hatte, behauptete der Betreiber der Anlage, British Nuclear Fuel (BNFL), die zusätzliche Belastung durch die Anlage sei etwa so groß, wie die Strahlenbelastung bei einem Ferienflug nach Teneriffa.

Hinter den Kulissen der seit Montag in Berlin tagenden Konferenz hatte es wegen der zentralen Rolle von THORP für die europäische Atomindustrie erhebliche Auseinandersetzungen um die Empfehlung gegeben. Die deutsche Delegation lehnte die ursprüngliche Empfehlung ab, die die geplante Verseuchung als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet hatte. Sie stimmte dann aber einer entschärften Version doch zu. Hintergrund der deutschen Leisetreterei: Deutschen AKW-Betreiber haben Verträge für die Wiederaufarbeitung von 885 Tonnen abgebrannter Brennstäbe in der THORP-Anlage. 100 Tonnen sind schon angeliefert. Geht THORP nicht in Betrieb, stehen zwölf deutsche AKW künftig ohne Entsorgung da.

Das von Dänemark und Irland eingebrachte Dokument stellt jetzt fest, daß die neue Anlage in Sellafield „zusätzlich radioaktive Abwässer in die Irische See“ und dann auch in den Nordatlantik ablassen würde. Empfohlen werden könnten dagegen nur Maßnahmen, die „die radioaktive Verseuchung der Meere vermindern oder gänzlich ausschalten“. Genehmigungen für Strahlenfreisetzungen aus einer WAA sollte deshalb nur nach einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung und Informationen über die Sinnhaftigkeit der Anlage erteilt werden. Besondere Beachtung sollte dabei das Vorsorgeprinzip und der Einsatz der besten verfügbaren Technik finden. Die britische Delegation war die einzige, die die Empfehlung rundweg ablehnte.

Schon heute häufen sich in Sellafield und an der gegenüberliegenden Irischen Küste die Leukämiefälle. Greenpeace hat an Stränden rund um Sellafield Sand eingesammelt, den deutschen Behörden als Atommüll behandeln. 40 Familien aus der Umgebung von Sellafield klagen wegen Gesundheitsschäden gegen den Betreiber BNFL. Und strahlende Teilchen aus der Atomfabrik können selbst an der norwegischen Küste nachgewiesen werden.