: Kampf gegen den Machtverlust
■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (17): Am Juliusturm werben Autohäuser weiter für die automobile Gesellschaft / 1992 starben hier zwei Menschen bei Unfällen
„Mög' schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband.“ Eindringlich drückte Spandaus Stadtrat Emil Müller noch 1911 seine Hoffnung aus, daß die havelländische Kleinstadt nicht in die ungeliebte Nachbarstadt östlich der Spree eingemeindet werde – vergeblich: Der Kaiser dankte ab, und Spandau wurde 1920 ein Berliner Bezirk.
Lange hatten sich die Spandauer gewehrt, konnten sie doch auf die erheblich längere Stadtgeschichte zurückblicken. Weithin sichtbares Symbol dafür ist der Juliusturm im Bereich der Zitadelle. Bereits im 12. Jahrhundert wurde dieser errichtet; niemand allerdings weiß, wie der Turm zu seinem Namen kam. Mit seinen über zehn Meter dicken Mauern wurde er zum Wahrzeichen Spandaus und dessen Kampfes gegen den drohenden Machtverfall.
Lange Zeit wurde er als Gefängnis genutzt, auch Turn-Opa Jahn wurde hier gefangengehalten. Nach 1870 wurden im massigen Turm französische Reparationszahlungen gehortet: Zwölf Milliarden Mark in Gold sollen es gewesen sein. Und die Nationalsozialisten experimentierten dort während des Weltkriegs mit Giftgas, getrieben vom Wahn eines tausendjährigen Reichs. Später wurde dann auch eine Straße nach dem Turm benannt, die vom Nonnendamm zum Falkenseer Platz führt: „Am Juliusturm“.
Zu beiden Seiten der Straße, die in sanften S-Kurven Richtung Altstadt führt, wird auch heute gegen Machtverlust angekämpft: Autohaus reiht sich an Autohaus, dazwischen sind einige Tankstellen, eine Bayerische Motorenfirma produziert dort ihre Motorräder. Mit langen Glasfronten und imposanten Einfahrten kompensieren sie den längst begonnenen Untergang der automobilen Gesellschaft. Auf den zwei bis drei Spuren pro Fahrtrichtung zeigt sich jedoch täglich, wie notwendig und nahe das Ende dieser Ära ist: Denn die Auto-Fans sind mit der Straße überfordert, obwohl sie Parkplätze bietet und mittels eines Radweges sogar frei von Radlern ist. Mit verbissenen Gesichtern sind die Fahrer unterwegs, in stetem Zweikampf mit dem unbekannten Nachbarn. Mal müssen sie kurzfristig von der rechten auf die mittlere Spur wechseln, weil doch wieder am Straßenrand geparkt wird; mal haben sie mit den bremsenden Vorderleuten zu kämpfen, die eine Parktasche auf dem Mittelstreifen in Anspruch nehmen wollen. Wie auf dem furchterregenden Kaiserdamm in Charlottenburg muß also stets mit Zuströmen von beiden Seiten gerechnet werden.
„Ach Gott, die zählt doch kein Mensch mehr“, winkt daher der ältere Polizist ab, der sich genauer zu Auffahrunfällen nicht äußern möchte. Doch bei Blechschäden bleibt es Am Juliusturm leider nicht immer: Drei Schwerverletzte habe es 1992 bei Verkehrsunfällen gegeben, teilte Rolf Hirschmann vom Statistischen Landesamt Berlin mit: „Zwei Menschen kamen bei Unfällen ums Leben.“ Der Preis der Freiheit? Christian Arns
In der letzten Folge raten wir von der Hauptstraße ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen