Nachschlag

■ Zu einer Lesung mit Jean Rouaud im Literaturhaus

Verblüffend, wie der Charakter von Veranstaltungen die Gäste prägt: keine obligatorischen deutschen Kultur-Schmuddels diesmal, tiefen Trübsinn im Blick, Schuppen im Haar, sondern ein Plaudern und Zwitschern en français, etwas Stil und Charme plötzlich im preußischen Berlin – die schönen „Uneigentlichkeiten“ der Zivilisation.

Denn der eingeladene Gast ist ein Star: vom Zeitungsverkäufer an einem Pariser Kiosk zum Prix-Goncourt-Preisträger 1990 mit 600.000 (!) verkauften Exemplaren seines Buches allein in Frankreich, Übersetzungen aller Auflagen in fünfundzwanzig Sprachen noch gar nicht mitgerechnet. „Die Felder der Ehre“ erzählt die Geschichte dreier Generationen bis zum Ersten Weltkrieg und paßt so gar nicht in den Rahmen episch auswalzender Familiengeschichten; ein leichter, wenn auch nicht leichtfertiger Tonfall ist hier zu hören, ironisch und zärtlich, locker und dennoch präzis. Schon die von Jean Rouaud auf französisch und von Holger Behm auf deutsch gelesenen Textpassagen vermittelten davon einen Eindruck. Die Handlung spielt im Loire-Tal an der Atlantikküste, wo es oft regnet und das die Mentalität der dort wohnenden Menschen prägt. Man muß es hören oder lesen, wie Rouaud dann den Regen bei steigender Flut beschreibt, diese nassen Felder, triefenden Straßen und bleigrauen Städte kurz nach der Jahrhundertwende lebendig werden läßt – wahrhaftig erfunden. Und ohne, trotz dieser Stimmungen, apokalyptischen Nebel zu schaffen oder das metaphorische Verhältnis im Hintergrund zu beraunen. Viele der Protagonisten sterben im Roman, der schließlich mit der Schilderung des Gaskrieges im Ersten Weltkrieg zu Ende geht.

Der Autor aber verläßt sich einzig und allein auf die Klarheit des Wortes und seine Fähigkeit zu erzählen; dazu braucht man kein mystisches Beiwerk. Befragt nach seinem Stil, antwortete er in der anschließenden Diskussion, daß er Sprache nicht als Steinbruch verwenden wollte, nicht mit: „Ich stelle mir vor“-Attitüden experimentierte, sondern sich auf die Möglichkeiten des „altmodischen“ Erzählens verließ. Das Resultat darf als überaus geglückt gelten. Das hoben auch die französischen Kritiker hervor – wie sollte uns auch sonst heute noch eine Familiengeschichte aus ferner Zeit am fernen Atlantik interessieren? Jean Rouaud hat dieses Kunststück fertiggebracht.

Ob das ein noveau roman oder gar ein nouveau nouveau sei, fragte eine Zuhörerin. Rouaud verneinte, sah sich – etwas scheu lächelnd – eher in der Tradition des episodenreichen autobiographischen Romans von Proust bis Miller. Es ist keineswegs zu hochgegriffen. „Sich erinnern ist die Sendung des Menschen auf Erden“, lautet das Motto in Henry Millers Frankreich-Buch „Land der Erinnerung“. Dieser, in der schnellebigen Mediengesellschaft immer schwieriger werdenden Herausforderung hat sich der Roman „Die Felder der Ehre“ gestellt, ohne mit der berüchtigt-drögen „Erinnerungsarbeit“ zu langweilen. Glücklich ein Land, das solche Zeitungsverkäufer hat. Marko Martin

Jean Rouaud: „Die Felder der Ehre“; Piper, 217 S., 34 DM