Wand und Boden
: Der begeisterte Pavarotti

■ Kunst in Berlin jetzt: Arakawa, Wolfgang Müller, Karel Gott und Natascha Tagwerk

In der Galerie unWahr beschäftigt sich „Tagwerks kleine Sammlung Geistweilen“ mit Kurt Uhr und seiner Italienreise in den frühen 50er Jahren und weiteren Nachlässen aus vergangenen Zeiten. Auf großformatigen Papierbögen von wunderbarer Qualität, die der ehemaligen staatlichen Druckerei der DDR in Berlin entstammen, hat Natascha Tagwerk Fotos, Postkarten, Glückwunschkarten zur Vermählung, Buchstaben, Logos wie den Mitropa-Elefanten und Sand mit Hilfe von Buchdruckerfirnis collagiert. „Eine Auswahl persönlicher Reiseandenken!“ prunkt mit dem, der Staatsdruckerei entwendeten Satz, „Unser Gast hat das Wort“. Wir ergreifen dieses, und behaupten, daß quer und widerborstig zu diesen Collagen, die in ihrer bernstein-, sand- bis elfenbeinfarbenen Grundtönung enorm elegant anmuten – und denen die klare, blaue oder rote Farbigkeit der Drucksätze eine minimale aggressive Spitze geben – eine Art Zahnarztstuhl mit vorgebautem Vergrößerungsglas steht. Durch dieses soll ein riesiger, aus Draht, miesem Schaumstoff und altem Filz nachgebauter Kopf eines Anglerfischs betrachtet werden. Das häßliche Monstrum, das die gesamte Rückwand der Galerie einnimmt, nimmt ungeheuer für die gesamte Installation ein. In seiner formalen und materialen Qualität steht es in Korrespondenz zum kleinsten Objekt der Ausstellung, einem Fläschchen, und dessen assoziationsreicher Beschriftung „Koko. Erfrischungs-, Belebungs- und Anregungsmittel. 25 ml, 2,- M.“

Kleine Hamburgerstraße 16, Ecke Auguststraße, täglich ab 16Uhr.

Auf dem großformatigen Tafelbild, „Untitled“ (1962), sind mit Bleistift auf den grünlich-beigen Malgrund der Leinwand zwei Grundrißzeichnungen aufgebracht. Nebeneinander, auf gleiche Höhe gesetzt, zeigt der linke Grundriß den living room, wie ein nicht völlig ausradierter, leicht verschmierter Schriftzug vermerkt. Der rechte Grundriß dagegen zeigt vier nicht weiter benannte Räume. Man wird sich vorstellen, daß diese Räume – wie die der Galerie Ernst A. Busche, in der man sich befindet, wenn man Arakawas „New York Paintings 1961-1962“ betrachtet – aus weißen Wänden gebildet sind, die mit Gemälden geschmückt werden können. Das Tafelbild selbst, als eine über einen Rahmen gespannte Leinwand von bestimmten Ausmaßen, darauf Farbe und Form, ist das Material der zu betrachtenden Tafelbilder. Daher genügt es, wenn auf die leere, mit Acryl grundierte Leinwand, mit dem Bleistift Elemente der Tafelbildmalerei markiert sind. Die Begrenzung der Bildfläche ist mit rechtwinklig zueinander gesetzten Linien benannt, die in die vier Ecken plaziert wurden (Untitled, 1961). Die Untertitelung formatfüllend angeordneter, parallel geführter Striche unterschiedlicher Länge mit „New York Eve 1961 in New York City. Night at eleven fourty five“ meint die Konzeptualisierung bekannter künstlerischer Traditionen. Das Material Tafelbild wird als semiotisches Material bezeichnet und, derart reformuliert, ganz in hergebrachter Manier, wieder an die Wand gehängt. „Bei Arakawa denken wir durch die Augen“, beschreibt Jean-Francois Lyotard etwas poetisch den Sachverhalt.

Bis 28. Juli, Bundesallee 32, Mi und Fr 15-18 Uhr, Sa 11-13 Uhr und nach Vereinbarung.

Viel leere Fläche auf weißen Papierbögen, die – in Plexiglaskästen von etwa fünf Zentimeter Tiefe gestellt – sich wellen und gewissermaßen langsam in die Knie gehen, zeigt auch die Zwinger Galerie. Wolfgang Müller verfolgt dort sein Schultrauma nach der Spickzettel-Ausstellung im Frisör der Botschaft e.V. nun mit Geheimtinten-Zeichnungen. Kobalt-(II)-Chlorid ist eine bläuliche Tinte, die sich durch Anhauchen, Wärme und Feuchtigkeit also, rosa verfärbt und, etwa auf die Haut aufgetragen, zeitweise praktisch unsichtbar wird. So lassen sich Französischtests über- und bestehen. Der Name Kobalt kommt laut Duden von Kobold, und damit ist schon manches über die Zeichnungen Müllers gesagt. Nicht nur ihr Malmaterial rührt aus der Spickzettelepoche her, sondern auch ihre Größe. „Steigende Agressivität der Hauskatze, total verängstigt“ (1992) zeigt im oberen Drittel des Blattes, in die rechte Hälfte gerückt, die miniaturen Unrißlinien einer, in vier Phasen ihres In-Position- Gehens festgehaltenen Katze. Auf manchen Blättern trennt sich die Geheimtinte auf und das rötlich-metallen schimmernde Kobalt liegt als kristalliner Stoff leicht erhaben über der Spur blauer Farbe. Konkreter Halt für die kleinteiligen Umrißzeichnungen auf der fast übermächtigen, reinweißen Fläche des Papierbogens. Auf den 25 Zeichnungen sind Obst und Gemüse zu sehen, „das sich nicht verträgt: Kürbis und Kartoffel, Erdbeere und Banane, Kopfsalat und Gurke. Tiere, die imponieren, aggressiv werden oder Hochzeitstänze aufführen. Gestisches in gleichzeitiger Erstarrung. Karl Lagerfeld und Wolfgang Müller in der Bar Kumpelnest 3000. Reproduktionen hundertjähriger Fälschungen prähistorischer Gravuren auf Rentierknochen in Bewegung und gekreuzte Ohren. Alles Reaktionen.“ (Wolfgang Müller). Daneben gibt es ein Auflagenobjekt „Quatsch mit Soße“, das sich auf die Grafik des Kurators und Kunstjournalisten Thomas Wulffen bezieht, die für ein internationales Ausstellungsprojekt das „Betriebssystem Kunst“ objektivieren soll. Jedes für 24 Mark käuflich zu erwerbende Blatt ist ein Unikat, das durch das Austauschen der ursprünglichen Begriffe, verweisenden Pfeile und Subsystemschachteln, die „Vervollständigung eines Wahnsystems“ betreibt, das vorrangig die Anmaßung von Theoretikern und Kuratoren illustriert.

Bis 10. Juli, Dresdener Str. 125, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Es ist nicht das erste Mal, daß Karel Gott, die „goldene Stimme“ aus der goldenen Stadt Prag einen Auftritt im „Betriebssystem Kunst“ hat, auch wenn eine Ausstellung seiner Ölgemälde in der Galerie MIRO dies glauben machen will. Immerhin gelang es Heinz Zolper, der in den 70er Jahren die Künstlerzeitschrift „palazzo“ herausgab, Karel Gott dazu zu überreden, sich fotografieren zu lassen, wie er sich jene Gazette als Papierhütchen zusammengefaltet auf den Kopf stülpte. Die Bildunterschrift lautete „Mein Gott, Herr Gott“. Damit war er durchaus in ein Projekt der Avantgardekunst verstrickt. Jetzt allerdings entpuppt er sich als ganz und gar konventioneller Sonntagsmaler. Weswegen Malerei für ihn Religion ist und seine Bilder gleich „Visionen“ sind. Das kann am heiligen Sonntag leicht passieren und ist wohl wahr, in mehr als einer Weise. Warum er aber „Madonna und Nicholson“ (1993) als Paar visioniert, ist nicht so leicht zu entschlüsseln, wie das Traumbild „Der begeisterte Pavarotti“ (1988). Welche Szene Gott auf der Bühne zeigt, unverkennbar im üblichen weißen Anzug, und im Publikum, in der ersten Reihe, eben jenen begeisterten Operntenor. Da kann man nur zum wiederholten Male sagen ...

Bis 12. September, Mohrenstr. 11, Mo-Fr. 9-17 Uhr

Brigitte Werneburg