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Wahnsinnig gerne direkt auf der Haut

■ Regenmäntel, Sauger, Höschen – die Sammlung Sebastian Teuber

Bieder, stolz und immer akribisch: Sammler sind die selbstverliebten Sachwalter der Phantasien, Sehnsüchte, Träume (und Traumata) ihrer Kindheit. Die Anhäufung der Objekte ihres Begehrens, die Erschaffung einer kleinen Welt nach eigenen meist briefmarkengroßen Maßstäben und die uneingeschränkte Herrschaft darüber, täuscht hinweg über den Verlust der Geborgenheit. Der eine umgibt sich mit Teddybären, der andere mit Kuckucksuhren, der nächste erfreut sich vielleicht an alten Tresoren, und wenige – ganz wenige nur – erfüllen sich mit Gummiwäsche ihre unheimliche Leidenschaft.

Einer von ihnen ist Sebastian Teuber, 53 Jahre alt, Kunstlehrer und Bildhauer. Seit nunmehr 20 Jahren sammelt er – versuchen wir eine Definition – Wäsche, deren Zweck es ist, Nässe jeglicher Art abzuwehren. Rund 1.000 Regenmäntel, des weiteren Gummischuhe, Galoschen, Handschuhe, Hauben, Mützen, Hüte etc., hat er zusammengetragen. Die Fundorte: Flohmärkte, die Zweite Hand, Bekleidungsgeschäfte „drüben vor der Wende“ und das Angebot diverser Versandhäuser.

Eine Auswahl der Sammlung Teuber ist dieser Tage in der Galerie Bilderdienst in Wilmersdorf zu sehen und anzufassen, jedoch nicht zu kaufen – ein Hinweisschild an der Eingangstür beugt allen Mißverständnissen vor. In zwei kleinen Räumen hängen an mehreren Kleiderständern, ganz so wie in einer Boutique, eng aneindergepreßt Erzeugnisse der internationalen Gummibekleidungsindustrie aus den letzten Jahrzehnten. Modelle in erstaunlicher Vielfalt, für Erwachsene und Kinder, für Schutzbedürftige jeglichen Alters. Die Farben reichen von Grellbunt in allen denkbaren Dekors (Zebra, Schlangenhaut und Leopard, Sterne, Blümchen, Punkt und Strich) bis zum schwer unterscheidbaren Graubraunolivgrün aus jenen Design-Tagen, als man dem Regen noch unverhohlen mißmutig trotzte. Teubers Interesse, so versichert der Galerist Andreas Seltzer, gilt dem Material an und für sich. Gummi, Latex, Igelit (die frühere Bezeichnung für PVC) faszinieren ihn.

Selbst die frühkindliche Erinnerung des Sammlers schafft Bezüge: Die Beschaffenheit der Wickelunterlage ist ihm noch im Gedächtnis, ebenso die wohligen Gefühle, die ihm die Gummischürzen der Waschfrauen bereiteten, als er sich im Kindesalter an sie schmiegte. Kein Wunder, daß in einer Vitrine eine „luftgefüllte Waffelgummi- Unterlage für Kinderbetten zum Schutz vor Durchnässen“ zu sehen ist, neben Kinderschuhen, Sandaletten, PVC-Stiefeletten („von GUDULA“) und Saugern für Baby-Trinkflaschen.

Teubers sorgfältige Beschriftung – in gestochener Handschrift oder mit der Schreibmaschine – enthält wissenswerte Details: Diese Sauger „stammen noch aus DDR-Produktion und wurden 1989, also vor der ,Wende‘, in Dresden gekauft. Sie sind aus reinem Naturkautschuk hergestellt. Babyartikel waren in der ehemal. DDR stark subventioniert, ein solcher Sauger kostete ganze 30 Pfg. Ost!“. Gleiches gilt für das reizende „Puppenregencape Modell Jana“, dessen Beipackzettel die kulturhistorisch bedeutsame Information enthält „EVP 4,30 Mark VEB Baby-Chic, Finsterwalde“.

Die wertvollsten Stücke jedoch hängen an der Wand, so zum Beispiel ein „geschmeidiges bienenwachsfarbenes Cape mit Kapuze“ aus den 40er Jahren, eine grüne Schürze von großem Seltenheitswert – vermutlich von einer Görlitzer Firma hergestellt – sowie die Gummihöschen mit Rüschen, Puppenkleidchen und die „glasklare Erotic-Hose aus PVC- Waschfolie“. Die knallgrüne Latex-Hose (Dehnbarkeit bis 400 Prozent) wird, nach Auskunft Teubers, „wahnsinnig gerne direkt auf der Haut getragen“. Die absolute Rarität allerdings ist eine rosafarbene „Hygienehose aus Igelit zum Einlegen von Damenbinden aus den 40er Jahren“. Effektvoll wurde sie an die Wand genagelt.

Ergänzt wird die Ausstellung mit dem irreführend launische Titel „Donnerwetter!“ (denn Regen ist für Teuber vermutlich jene wunderbare Erfindung, die den Regenmantel zur Folge hatte) durch Standfotos aus Filmen, in denen Regenmäntel getragen werden. Wer dächte nicht an Jean Gabin in „Hafen im Nebel“ oder an Gene Hackman alias Harry Caul in Coppolas „The Conversation“ (dieser fehlt jedoch in Teubers Sammlung)? Aus Privatbeständen – „Herkunft unbekannt“ – stammen die Aufnahmen einer Frau mit Gummi-Schürze und Gummihandschuhen neben einem Waschtrog und ein Zeugnis aus der Zeit demokratischen Aufbruchs: Eine „Schülervertreterin im Igelit-Mantel spricht beim Ersten Berliner Schülerparlament im Dezember 1949“. Nicht nur Gummischürzensammler – die soll es geben – werden an dieser Ausstellung also ihre Freude haben. Stephan Schurr

„Donnerwetter! – Die Regenmantel usw. Sammlung von S. Teuber“, Bilderdienst A. Seltzer, Pariser Str. 51. Bis 26. Juni, Di-Fr. 16-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr.

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