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Ein Gesundheitsbus für die Szene

Seit Januar bietet ein Gesundheitsmobil medizinische Erstversorgung für Junkies an / Sie leiden vor allem an Abszessen und Hepatitis / Wer hierherkommt, braucht keinen Krankenschein  ■ Von Corinna Raupach

Welcher Freier es war, der Sabine* vor zwei Wochen brutal vergewaltigte und zusammenschlug, kann sie nicht mehr sagen. „Ich war ja so breit“, sagt die 15jährige. Heute noch leidet sie an Schmerzen an den Knien und am Brustbein. Als sie letzte Woche im Mobilix-Gesundheitsmobil behandelt wurde, hatte man ihr empfohlen, die Knie zu kühlen. „Aber wie soll ich das machen auf der Straße. Ich schlafe in Hausfluren.“ Zu ihrem Adoptivvater könne sie nicht zurück, und Freunde, bei denen sie übernachten könnte, habe sie nicht. Sabines Knie werden erst einmal eingesalbt und mit einem Stützverband versehen. Für Montag organisiert Ärztin Barbara Mitton, die an diesem Abend Dienst hat, einen Röntgentermin.

Seit das Gesundheitsmobil, ein Kooperationsprojekt von Fixpunkt, Verein für suchtbegleitende Hilfen, dem Urban-Krankenhaus und der Gesundheitsverwaltung, Mitte Januar seine Arbeit aufgenommen hat, hat es schon 200 Drogenabhängige behandelt. Sie leiden vor allem an Abszessen, hervorgerufen durch unsaubere Spritzen oder unreines Dope. Aber auch Hepatitiden, Verbrennungen, Verwundungen, Läuse, Milben und Folgen von Vergewaltigungen und anderen Gewalttätigkeiten sind an der Tagesordnung. „Die meisten Patienten sind schon älter, zwischen 23 und 40“, sagt Krankenschwester Elfriede Brüning, die von Fixpunkt für das Projekt angestellt wurde.

Bernd* beispielsweise ist 37 und schon seit 18 Jahren heroinabhängig. Mittlerweile konsumiert er zwei bis drei Gramm am Tag, meist in Verbindung mit Rohypnol und Kokain. „Du mußt ja ein reicher Mann sein“, kommentiert Dankwart Schulte, ebenfalls Arzt bei Mobilix, und nimmt sich der vier Abszesse des Patienten an. Beim Arzt war Bernd schon seit Jahren nicht mehr. Ob seine Krankenversicherung die AOK ist, weiß er nicht mehr genau, nimmt es aber an. Bisher hat er sich seine Abszesse selbst aufgestochen, aber dem letzten ist das nicht gut bekommen. Der rosige Fleck auf dem Handgelenk glänzt eitrig und ist angeschwollen.

Marina* ist knapp 30, ebenfalls seit Jahren heroinabhängig und aidskrank. Ihr schmales Gesicht unter den blondgefärbten Haaren ist glatt und geschminkt. Die dünnen Beine aber, die sie mit einer weiten Blumenhose zu kaschieren sucht, sind übersät mit schwarzen Stellen und Streifen, vernarbten Abszessen und Nekrosen. Der linke Oberschenkel ist innen hart wie ein Brett, Knie und Knöchel sind unförmig verschwollen. Die Haut an den Füßen ist schwarz verfärbt. Unter den Mullverbänden kommen bis zu einem Zentimeter tiefe Löcher unterschiedlichen Durchmessers zum Vorschein, in denen es schwarz oder rosa glänzt.

„So was Buntes gibt es nicht einmal im Fernsehen“, murmelt der Arzt. Die sieben Abszesse werden desinfiziert, manchmal muß noch mit einem kleinen scharfen Löffelchen weiter ausgeschabt werden. Nach einer knappen Stunde sind auch die Wunden an Bauch und Po behandelt, mühsam packt sie sich in ihre beiden Hosen. Sie bekommt noch Antibiotika mit und ein Kondom. Sie lacht nur heiser. „Das brauch“ ich doch nicht mehr. Aber es ist ganz gut, um das Geld einzuschieben. Ich habe nämlich immer solche Angst, daß es mir geklaut wird, und wenn ich es so einschiebe, blute ich alles voll.“

Jeden Mittwoch und Samstag steht das Gesundheitsmobil auf der Kurfürstenstraße, seit Ende Mai noch jeden Freitag am Kotti, und bietet medizinische Erstversorgung für Junkies. Der Bus ist wie eine ambulante Arztpraxis eingerichtet und verfügt über ein Funktelefon. Den medizinischen Part übernehmen acht ÄrtzInnen vom Urban-Krankenhaus, dem zu diesem Zweck eine zusätzliche Dreiviertel-Stelle bewilligt wurde. Das Gesundheitsmobil ist ein Teil des Fixpunkt-Projekts „Mobilix“, das der Verbesserung der gesundheitlichen Situation Drogenabhängiger dienen soll. Zu ihm gehören die sechs Spritzenautomaten, Entsorgungsbehälter für gebrauchte Spritzen und öffentliche Toiletten und das Präventionsmobil, das während der Einsätze immer neben dem Gesundheitsmobil steht. Dort werden Spritzen getauscht, Kondome vergeben und beraten.

Mobilix ist bislang das erste Projekt dieser Art in Deutschland. „Das Gesundheitsmobil hat vor allem Signalcharakter für Ärzte und Medizin, indem es auf einen Bedarf hinweist, dem man sich bisher verweigert hat“, sagt Michael de Ridder, Arzt am Urban-Krankenhaus und federführend an dem Projekt beteiligt. Er sieht das Projekt auch als „vertrauensbildende Maßnahme“. Wer sich hier behandeln lassen will, braucht keinen Krankenschein und wird auch nicht genötigt, eine Therapie oder einen Entzug anzufangen. „Wir betreiben zunächst Schadensbegrenzung“, so de Ridder. Gerade durch diese Akzeptanz und das gewonnene Vertrauen könnten dann vielleich auch andere Optionen möglich werden, hofft er.

„Meine Erfahrung aus dem Krankenhaus hat mir gezeigt, daß an der Sucht selbst von außen nichts zu machen ist“, sagt Ärztin Mitton. „Wir behandeln das, womit die Leute jetzt kommen.“ Trotzdem gingen ihr manche Fälle sehr nahe – wie der Apotheker, der in seiner eigenen Apotheke süchtig wurde und nun schon vier Jahre obdachlos ist.

Die Abhängigen selbst nehmen das Angebot an. Sie kommen nicht nur einmal, sie kommen auch immer wieder, wenn das erforderlich ist. „Manche kommen sogar nur, um zu zeigen, daß sie wieder gesund sind“, sagt Elfriede Brüning. Zu aggressivem Verhalten sei es im Bus noch nie gekommen. „Es hat mich selbst überrascht, wie kooperativ die sich verhalten.“

* Namen von der Red. geändert

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