Weiblicher Blick und Bedürfnis

■ Das unentdeckte Marktsegment Frau oder das spezifisch Weibliche auf Reisen

Wo es spezifische Frauenkultur gibt, gibt es natürlich auch eine Frauen-Reise-Kultur. Daß die Hälfte der Menschheit für sich genommen bislang eine unbedeutende Zielgruppe ist, beweist deutlich das Fehlen von Frauenreisen bei den Pauschalreisen der Großveranstalter. Die Angebote der Großen reagieren wie ein empfindlicher Seismograph auf mögliche neue Marktsegmente. Und in der Tat ist das Marktsegment Frauen und Reisen schwer zu definieren. Schaut man sich die Frauen-Reiseführer des Elster-Verlags an, so präsentiert sich als die typische reisende Frau die konsum- und lustorientierte, gut bis mittel verdienende, selbstbewußte Stadtreisende. Sie geht gern essen, setzt sich in den Bars nicht gern aufdringlichen Blicken aus, liebt Shopping und guckt auch mal in die Galerie, die gerade en vogue ist. Zwischendrin läßt sie sich beim In-Frisör vor Ort etwas auffrischen und spaziert dann frisch gestylt in das stadtbekannte Frauenzentrum. Mit Tips für Trips und vielen praktischen Informationen stehen die Bücher des Elster Verlags dieser aufgeklärten Kundin zur Seite. Sie kann sich darin über Hotelkategorien genauso informieren wie über die Modehäuser, Schönheitsfarmen, Küchengeschirr, Frauenpersönlichkeiten vor Ort bis hin zur Beschäftigung der eventuell mitreisenden Knirpse. Reiseführer also rund um die Frau und ihre vielfältigen Bedürfnisse zwischen Haarproblemen, Ausgehmöglichkeiten und Frauenkultur. Ein Service-Potpourri für das noch undifferenzierte Marktsegment Frau.

Reiseführer für Frauen (Berlin, Mailand, Lissabon, Budapest), Elster Verlag, 24 Mark.

Weniger auf die konkreten Konsumbedürfnisse der reisenden Frau als auf die Frauenkultur eines Landes gehen die Bücher der Frauenoffensive ein. Frauen aus dem jeweiligen Land äußern sich aus ihrer Sicht über Alltag und Politik und präsentieren Plätze, Regionen und Zentren auf den Spuren historischer Frauen oder aktueller Frauenprojekte. Unterschiedliche Autorinnen führen kenntnisreich durch das Land. Dabei wollen sie nicht alle möglichen und unmöglichen Bedürfnisse der Reisenden befriedigen, sondern spezifische Aspekte der Fauenkultur eines Landes näherbringen. Während sich beispielsweise im Band „Holland“ die konkreten Ausflüge auf den Spuren von Frauen teilweise etwas konstruiert mit belanglosen Histörchen garniert lesen, ist die Spurensuche im Band „Schwarzafrika“ sehr gelungen. Dafür fehlt natürlich der ansonsten übliche Informationsteil am Schluß eines Bandes über eine vernetzte Fraueninfrastruktur, die es hier nicht gibt. Zwar geht es im „Schwarzafrika“-Band im Gegensatz zu den europäischen Regionen um die einheimische Frau zumeist aus zweiter Hand, nämlich gefiltert durch den Blick der westeuropäischen Reisenden, aber das ganze Buch liest sich als sehr spannende Begegnung der weiblichen Art. Der Blick auf die Frauen und ihren sonst fast immer unterschlagenen Anteil in Geschichte, Politik, Alltag und Kunst ergeben in den Büchern der Frauenoffensive ein anderes Landschaftsbild. Diese Reiseführer im eher unkonventionellen Sinn setzen Interesse für das jeweilige Land, seine Frauen und deren Kultur jenseits kurzfristiger, schicker Amüsierbesuche voraus. Wer sich mit der Frauenkultur eines Landes beschäftigen will, fährt mit den Büchern der Frauenoffensive gut. Die Texte der Autorinnen sind allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität, dennoch sind die Bücher eine anspruchsvolle und ungewöhnliche Auseinandersetzung mit Land und Frauen, die in sonstigen Reiseführern allenfalls unter „ferner liefen“, eher aber gar nicht stattfindet. Eine feministische Sichtweise mit leicht verfranstem Tiefenblick.

Frauenoffensive, München, bislang u. a. erschienen: „Griechenland“, „Schwarzafrika“, „China“, „Holland“, „Südamerika“, „Italien“, „England“, 32 Mark.

Edith Kresta