Im Fernsehkino

■ Internationales Quality-TV auf der "Cologne Conference"

Alle redeten über Fernsehen, doch nur wenige schauten hin. Beim Kölner „Medienforum NRW“ ließ sich die Mehrheit der Handlungsreisenden in Sachen Medien von Vorträgen berieseln. Mehr als 2.000 von ihnen stellten sich bei der RTL-Gala am „Köllschen Büffet“ an oder berauschten sich an einem 4711-farbenen Aperitif. Ja, es stimmt, daß der zeitgleiche Stundenplan, der das Fernsehfest „Cologne Conference“ mit anderen Ereignissen der Tagung in Konkurrenz brachte, nicht günstig gewählt war. Wer TV-Programme anschaute, konnte Roger Willemsen nicht zu der Frage „Was darf das Fernsehen?“ moderieren sehen und bei der berühmten WDR- Party kaum ein Stängchen Kölsch abkippen. Und dennoch ist es erstaunlich, daß so wenig Fachpublikum Zeit fand, sich einen Augenblick lang in die Cinemathek zu bewegen, um das zu finden, was in unserem Medienalltag so selten ist: Quality-TV.

Die „Cologne Conference“ hätte mancher Fernsehfachkraft die praktischen Beispiele dafür geliefert, wie intelligent und spannend TV-Filme auszusehen vermögen. Unter dem Titel „Top Ten“ präsentierte das Grimme-Institut zehn Produktionen, die ein vierköpfiges Team zu den gegenwärtig besten aus aller Welt gekürt hatte – ein repräsentativer Anspruch, der für diese Handvoll Filme sicher zu hoch gehängt war. Die Kriterien für die Nominierung waren von den Marler Rechercheuren bewußt vage formuliert: Was Form oder Recherche betrifft, sollten die Beiträge „herausragend“ sein. Das Ganze außerdem nicht zu alt (Stichmonat: Januar '92) und im deutschsprachigen Raum noch ungesehen.

Die Vier fahndeten auf Bildermärkten in Cannes, Los Angeles, Monte Carlo u.a. und fragten bei Sendeanstalten nach. 150 Produktionen prüften sie. Was sie für gut befanden, stammt vor allem von renommierten Kinoregisseuren. Denn seit David Lynch in „Twin Peaks“ Laura Palmer ermorden ließ, ist TV-Arbeit salonfähig geworden und bietet in Rezessions- Zeiten Vorteile: Niedrige Produktionskosten und somit die Chance, schnell Projekte realisieren und Geld verdienen zu können sowie bessere Distributionsmöglichkeiten. Bei der Auswahl hat die Berühmtheit der Namen sicher auch eine Rolle gespielt, sagt Grimme- Chef Lutz Hachmeister. Die „Cologne Conference“, die jetzt zum dritten Mal stattfand, muß sich noch etablieren.

Die Rechnung mit dem Name- Dropping ging auf: Die meisten kamen zu der Oliver-Stone-Produktion „Wild Palms“, die bis in die Kostümdetails mit großem Aufwand gedrehte Mini-Serie von ABC, ein pastellfarbenes Stück Science-fiction im Cyberspace. Stones Projekt sieht aus als wäre es von David Lynch, doch Lynch hatte selber einen Film unter den „Top Ten“: „Hotel Room“ heißt seine Trilogie mit jeweils grotesk, komisch oder tragisch anmutenden Geschichten, die sich zu verschiedenen Zeiten in Hotelzimmer Nr. 603 abspielen. Bis auf „Blackout“, eine Episode, die mit mit den Sehgewohnheiten bricht, indem Lynch den Raum fast gänzlich in eine Dunkelkammer verwandelt, stellen die Stücke jeden besinnlichen Einakterabend von Herbert Reinecker in den Schatten.

Bei Baltimore-Regisseur Barry Levinson („Diner“, „Toys“) sah die Einschaltquote ein wenig schlechter aus (gleichzeitig: Kölsch beim Kölner Treff!). Doch sein NBC-Film „Homicide: Life on the Street“, eine mit Handkamera gedrehte Krimiserie, die dank ihrer wackeligen Bilder stark dokumentarischen Charakter annimmt, ist eine sehenswerte Mischung aus Cinema-Verité und Reality-TV.

Allein fünfmal gehörte das englische Fernsehen mit Sendungen der BBC und des privaten ITV- Networks zu den Gewinnern. Keinen Unterschied zwischen Kino und TV macht der BBC-Kanal 1. Das geht sogar soweit, daß Filme erst nachdem sie in die Röhre kamen, auf die Kinoleinwand dürfen. Eine dieser Produktionen, ein anrührendes Stück großen Fernsehkinos, ist „We shall meet again“ von Charles Storridge. Ein All- Star-Treffen mit Alec Guinness, Jeanne Moreau, Lauren Bacall und Geraldine Chaplin, die am D-Day, dem Jahrestag der Landung der Alliierten, in die Normandie zurückkehren.

Dann „Old Father Christmas“, ein 26minütiger Weihnachtsmann- Mythos-Videoclip, bis aufs letzte Jingle Bell in trickreichen Aufnahmen durchkomponiert. „A Little Bit of Lippy“ aus der Regie von Chris Bernard („Letter to Brezhnev“) ist ein ins Märchenhafte verlagertes Spiel um sexuelle Rollen.

Dagegen nehmen sich Filme wie „Prime Suspect II“, die Fortsetzung des auch von der ARD gezeigten Krimis, vergleichsweise durchschnittlich aus. Unter ferner liefen ist auch noch die Fay-Weldon Verfilmung „The Cloning of Joanna May“ zu nennen, demnächst bei Vox auf dem Schirm.

Zu den Höhepunkten zählte das kanadische Doku-Drama „The Boys of St. Vincent“ (Regie: John N. Smith), das den Kindesmißbrauch in einem katholischen Waisenhaus thematisiert. Ein Film, den Kirch kaufte. Der „Canal 1“ des schwedischen Fernsehens war mit „Blueprint“ von Rickard Petrelius (Regie) vertreten, ein in blau-kühlen Bildern in Szene gesetzer Thriller um den mysteriösen Tod einer Umweltschützerin.

Und, schon gemerkt? Keine einzige deutsche Produktion gehörte zu den Auserwählten. Das lag nach Ansicht von Grimmechef Hachmeister daran, daß die deutschen Öffentlich-Rechtlichen von Marketing keine Ahnung hätten. Der NDR hätte gar einen Kassettenstapel mit Filmen aus den letzten vier Jahren geschickt. Dagegen waren die Spitzenwerke, die die „Cologne Conference“ gerne gezeigt hätte, nicht zu bekommen, weil sie entweder wie „Der König der letzten Tage“ (ZDF) noch nicht fertig oder wie die Koproduktion „Kaspar Hauser“ (Arte, WDR, BR) bereits an das Münchner Filmfest vergeben worden seien.

Wenn die Landesanstalt für Rundfunk und die Staatskanzlei das Festivalbudget von einer halben Million auf 850.000 Mark aufstocken, wird es '94 wieder eine „Top Ten“ geben. Dann möchte der Grimmechef den Siegern auch noch einen „Belphégor“ als Trophäe in die Hände drücken. Sabine Jaspers