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■ Interview mit Thomas Meyer über die SPD nach ihrer geglückten Mitgliederbefragung„Zwei, drei Seelen in jeder Brust“

Thomas Meyer ist politischer Wissenschaftler und einer der führenden Programmatiker der SPD. Er arbeitet derzeit bei der Friedrich- Ebert-Stiftung und war unter anderem Mitglied in der Grundwertekommission der Partei.

taz: Manchmal erzielen Verlegenheitslösungen stärkere Effekte als wohldurchdachte Planungen. Trifft das auch auf die Mitgliederbefragung bei der SPD zu?

Meyer: Ich würde sagen ja, füge aber hinzu, daß schon die SPD-Reformkommission „SPD 2000“ Sach- und Personalplebiszite vorgeschlagen hat. Daß die Praxis so schnell auf dem Fuß folgte, hat tatsächlich mit der Verlegenheit der SPD nach dem Rücktritt Engholms zu tun. Dann aber hat sich die Befragung als eine große, und wie ich denke, wegweisende Sache erwiesen.

Wird der Wert der Befragung nicht sehr stark durch den Charakter der Fragestellung eingeschränkt? Gefragt wurde doch eigentlich, welcher der KandidatInnen die besseren Medienqualitäten hat.

Nein, das stimmt nicht.

Warum nicht?

Es ging bei dieser Wahl um die Alternative zwischen dem Medienstar bzw. der Medienlogik – dafür stand Schröder – und dem, was man als Selbstbild moralischer Integrität und Redlichkeit bezeichnen könnte – dafür stand viel stärker Scharping. Er verkörperte die SPD-Organisationslogik. Man hätte erwarten können, daß viele sagen: Naja, also Schröder ist zwar sicherlich nicht so berechenbar, aber der reizt die Medien. Und genauso hat sich die Partei nicht entschieden. Das ist das Interessante daran.

Woran macht sich diese Einschätzung Scharpings als ehrlicher Haut bei Ihnen fest?

Wir sprechen über das Bild in der Öffentlichkeit. Wenn man eine Typologie dieser Wahrnehmung zu entwerfen versucht, so fällt Schröder der Part des unterhaltsamen Medienstars zu und Scharping der Part des redlichen, integren, zuverlässigen Parteiarbeiters.

Ist denn überhaupt etwas rübergekommen an politischen Alternativen?

Ich glaube nicht, daß das eine sehr große Rolle gespielt hat. Nun muß man ja dazu sagen, daß das, was an sozialdemokratischer Programmatik, an Zukunftsvisionen vorliegt, in den letzten zwei Jahren so gut wie ganz verdrängt worden ist. Ich glaube noch nicht mal, daß die Koalitionsfrage und die Frage der Ämterhäufung oder Trennung, die ja von den Kandidaten in den Vordergrund gestellt worden ist, den Ausschlag gegeben hat. Es ging um die politische Symbolwirkung der Kandidaten – das gab anscheinend den Ausschlag.

Finden Sie das gut oder schlecht?

Ich begrüße es. Allerdings haben viele bei der Abstimmung zwei bis drei Seelen in der Brust verspürt. Viele haben gesagt, wenn man jemanden hätte, der die moralische Zuverlässigkeit und die Integrität von Scharping hat und dazu den Medienauftritt und die Machtlust von Gerhard Schröder, wäre es am besten gewesen. Weil die Machtlust bei Scharping natürlich nicht so offensichtlich ist, obwohl sich manche darin wirklich täuschen.

Schröder hat für Rot-Grün votiert. Spielte das bei der Entscheidung der Mitglieder eine Rolle?

Auch das glaube ich nicht. Viele von denen, die nicht für Schröder stimmten, taten das nicht, weil sie die Aussage, Rot-Grün wäre für uns eine gute Koalition, nicht akzeptierten. Sie glauben einfach, daß man mit einer vorhergehenden Festlegung für Rot-Grün Stimmen verschenkt. Die Grünen würden in diesem Fall von dem Wählerwunsch profitieren, ihr relatives Gewicht in einer solchen Koalition zu stärken. Ich glaube nicht, daß Scharping jemand ist, der, wenn die Konstellation es hergibt, gegen eine rot-grüne Koalition wäre. Der hat nur eine andere Vorstellung davon, wieviel man vor Wahlen über solche Dinge sagen sollte.

Hätte das Ergebnis der Befragung nicht eine Stichwahl nahegelegt?

Nein. Wenn, was viele erwartet hatten, es ein knappes Ergebnis gegeben hätte, hätte dieses Argument gestochen. Die Abstände sind klar und deutlich, so daß ich das wirklich für entbehrlich halte.

Wie erklären Sie sich eigentlich, daß so viele SPD-Mitglieder zur Befragung gegangen sind?

Ich sage ganz offen, mich hat es gewaltig überrascht. Normalerweise nehmen etwa 12 bis 15 Prozent der Mitglieder am Parteileben teil, also z.B. an Jahresmitgliederversammlungen etc. Ich gebe zwei Erklärungen: Viele Mitglieder hatten den Eindruck, hier zählt das, was sie einbringen, direkt und wirklich. Das ist ja beim normalen Ortsvereins-Leben nicht der Fall. Und das zweite ist, daß eben doch weit mehr Mitglieder, als zu erwarten war, sich dafür interessieren, was mit ihrer Partei geschieht. Die 80 Prozent, die sich sonst nicht beteiligen, sind nicht grundsätzlich apathisch, desinteressiert oder distanziert. Wenn sie meinen, es ist wichtig, mobilisieren sie sich.

Wie war das Verhältnis der „Basisfunktionäre“ zum „Parteivolk“ bei der Befragung?

Ich war irgendwo in einem Ortsverein und habe da meine Stimme abgegeben. Da war es so, daß diejenigen, die sich selten blicken lassen, einen Plausch mit den Funktionären machten, ein Bier mit ihnen tranken. Sie fühlten sich auf ganz andere Weise umworben als sonst – schließlich wollte jeder Ortsverein ein gutes Ergebnis melden. Es gab keine dieser ritualisierten Debatten, bei denen sich viele ausgeschlossen oder doch eingeschüchtert fühlen. Das Informelle der Atmosphäre zog viele an. Sie könnten motiviert sein, ein andermal wieder mitzumachen. Rituale stoßen ab.

Fühlten sich die Funktionäre durch den Massenansturm in ihrer Ruhe gestört?

Es gibt natürlich dieses Insider- Parteileben, das stimmt. Das sind bestimmte Cliquen, Macht-Seilschaften, die naturgemäß am liebsten unter sich bleiben. Aber diese Leute sind keineswegs identisch mit der Funktionärsschicht. Die gute Basis gegen die schlechten Funktionäre auszuspielen, ist eine Spezialität populistischer Parteiführer. Also: die meisten Ortsvereins-Funktionäre ließen sich gerne stören.

Verbessert das Abstimmungsergebnis die Chancen plebiszitärer Reformprojekte? Was sagen Ihre Erfahrungen?

Wir machen ja im politischen Leben selten richtige Erfahrungen. Das war einmal eine Erfahrung. Überraschend. Was ganz Neues ist da gelaufen. Ich würde sagen, erstens: wir sollten wirklich auf Bundesebene mehr plebiszitäre Elemente einführen. Es hat sich gezeigt, daß eben ein Haufen Leute, die sonst nicht viel mitmachen, dann zu gewinnen sind, an der Debatte teilnehmen. Zweitens: Die SPD sollte das Instrument mit Augenmaß, nicht zu oft, dann, wenn es wirklich ernstgemeint ist, wieder anwenden. Das Dritte ist: es gibt dabei Gefahren. Es sind natürlich durch die überraschende Beteiligung große Erwartungen geweckt worden. Die würden sich wahrscheinlich nicht durchhalten lassen, wenn man das zu oft macht und wenn man in ein Gelände geht, wo dann die Wirkung plebiszitärer Beteiligung nicht so direkt und verbindlich wäre. Wenn man z.B. die Mitglieder fragt, ob sie für oder gegen Blauhelm-Einsätze sind, so wäre das Ergebnis nur Material für den Parteivorstand. Christian Semler

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