Rebellion in Japans Parlament – und was nun?

■ Die Regierungspartei ist gespalten, die Bevölkerung hingegen bleibt „entspannt“

Tokio (taz) – Wird Japan noch in diesem Sommer den ersten demokratischen Wechsel der Regierungspartei erleben? Nachdem das Kabinett gestern nach dem Mißtrauensantrag gegen Premier Kiichi Miyazawa die Auflösung des Parlaments beschloß, müssen innerhalb von 40 Tagen Neuwahlen durchgeführt werden.

Der Zufall will es, das zuvor noch Kommunalwahlen in Tokio stattfinden. Dabei scheint es so gut wie sicher, daß die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) in der japanischen Hauptstadt einen schweren Einbruch erleben wird. Eine solche Niederlage könnte eine politische Dynamik auslösen, der selbst die nach 40jähriger Monopolherrschaft machtgewohnte LDP nicht gewachsen ist.

Noch nie waren die Vorraussetzungen für die Opposition so günstig: Sie wird durch ein neues Wahlgesetz vereint in den Wahlkampf ziehen. Die Regierungspartei aber ist gespalten. Heute besteht die eine Hälfte der LDPler auf den althergebrachten Wählerverbindungen. Sie stützt sich auf Bauunternehmer, Ladenbesitzer und vor allem auf die Reisbauern in der Provinz, deren Stimme aufgrund einer Wahlkreisaufteilung aus der ersten Jahrhunderthälfte immer mehr wog als die der Städter. Die andere, jüngere Hälfte der Partei will eine neue LDP für die Großstädte schaffen, ohne die kleinkarierte Klientelwirtschaft der Alten, aber mit dem neuen Selbstbewußtsein ökonomischer Macht, insbesondere gegenüber dem Westen.

Der Verlierer der Stunde ist Kiichi Miyazawa. Der Premierminister und Parteichef saß in den letzten Tagen zwischen allen Stuhlen: Intellektuell unterstützte er schon die Jüngeren, doch objektiv zählte er seine Vertrauten unter den Älteren der Partei. Ihnen mußte er zum Schluß gehorchen, als er die Reformdebatte über ein neues Wahlgesetz verschob und dabei wohl noch nicht gewahrte, wie tief dies die Partei spalten würde.

Miyazawa aber erscheint dennoch als der letzte Vertreter seiner Generation. Seine Altersgenossen Noboru Takeshita und Yasuhiro Nakasone haben bereits als Regierungschef gedient. Deshalb wird die LDP noch einmal mit Miyazawa in den Wahlkampf ziehen müssen. Noch nie hatte die Regierungspartei einen unpopuläreren Spitzenkandidaten – doch sind die Jüngeren in der Partei nicht stark genug, ihren Gegenkandidaten zu benennen.

LDP-Generalsekretär Seiroku Kajiyama, der sich bisher am hartnäckigsten gegen den Generationswechsel sperrt, sagte den jungen Parteidissidenten nach der Abstimmung im Parlament den Kampf an: „Sie sind über die Grenzen der Partei hinweggeschritten. Das wird für sie von großer Bedeutung sein.“ Ob sich die Neinsager, deren Zahl im Parlament gestern mindestens 60 betrug, bis zu den Wahlen in der Partei halten können, ist nun sehr fraglich. Sollten sie sich aber entgültig von der LDP trennen oder ausgeschlossen werden, stiege die Chance für einen Wechsel der Regierungspartei.

Bisher schien ein solcher Wechsel unvorstellbar. Zu lang ist die Geschichte der Zerwürfnisse innerhalb der Oppositionsparteien, zu breit gefächert ist ihr Lager: von den Kommunisten über die biederen Sozialdemokraten bis zur buddhistischen Komei-Partei. Außerdem fehlt ihnen eine integrative Führungsfigur. Doch könnte allein die politische Reformgesetzgebung nach den Jahren der LDP- Vorherrschaft ein ausreichendes Motiv zur Regierungsbildung sein.

„Das Volk hat der Regierung sein Mißtrauen bereits ausgesprochen“, rechtfertigte Oppositionschef Sadao Yamanohana, Parteivorsitzender der Sozialdemokraten, gestern den Sturz Miyazawas. Damit spielte er freilich nur auf die Meinungsumfragen der letzten Zeit an, bei denen der Premier sehr schlecht davon kam. Wie weit die Unzufriedenheit der Wähler mit ihren Regierenden wirklich reicht, steht jedoch in den Sternen: „Die Leute sind entspannt. Es regt sich wirklich niemand auf“, meinte gestern Takashi Inoguchi, Politologe an der Tokioter Todai Universität, zur Reaktion der japanischen Bevölkerung auf die Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungspartei und im Parlament. „Solange in Japan die Bürokratie einigermaßen vernünftig funktioniert, sagen die Japaner zu den Politikern: ,Macht was ihr wollt, aber macht es alleine!‘“ Dieses für westliche Augen blinde Vertrauen in das Funktionieren von Staatsapparat und Bürokratie – unabhängig von den Parteien – könnte auch die Wahlen im Juli entscheiden. Georg Blume

Kommentar Seite 10