EG-Grenzen zu undurchlässig

Osteuropäische Staaten beklagen die Blockmentalität der EG / Beratungen über Handelserleichterungen auf dem EG-Gipfel  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Budapest (taz) – Wenn sich die EG-Regierungschefs übermorgen zum Gipfeltreffen in Kopenhagen versammeln, werden ihre osteuropäischen Kollegen mehr als nur aufmerksam zuschauen und zuhören. Geradezu verzweifelt haben in den letzten Wochen vor allem die Visegráder Vier – Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei und Ungarn – an die Gemeinschaft appelliert, ihre Handelsschranken schneller und großzügiger zu öffnen und endlich einen konkreten Fahrplan für ihre langfristige Mitgliedschaft vorzulegen. Denn nachdem der Osthandel der ehemaligen Bruderstaaten bislang immer noch rückläufig ist, sind sie von Westexporten auf Gedeih und Verderb abhängig.

Die EG-Handelsanteile, welche die Visegrád-Länder sowie Rumänien und Bulgarien erreicht haben, scheinen bereits beachtlich. Die Hälfte ihres Außenhandels wickelten die Visegrád-Länder im vergangenen Jahr mit der Gemeinschaft ab; für Rumänien und Bulgarien betrug dieser Anteil schätzungsweise ein Drittel. Die anscheinend erfolgreiche Umlenkung der Warenströme ergibt sich jedoch zu einem Teil nur rechnerisch durch das extreme Absacken des Osthandels und läßt den drastischen Produktionsrückgang in diesen Ländern außer acht.

Ohnehin weisen Westexporte der osteuropäischen Länder eine stagnierende Tendenz auf. Die EG konnte ihrerseits den Handelsbilanzüberschuß mit Osteuropa von einer Milliarde Dollar 1991 auf 2,5 Milliarden im letzten Jahr steigern.

Die Assoziierungsverträge, welche die EG im Dezember 1991 mit den Visegrád-Ländern und in diesem Frühjahr mit Rumänien und Bulgarien schloß, sollen Handelsschranken über fünf bis zehn Jahre abbauen und formulieren das langfristige Ziel der Vollmitgliedschaft. Unter Mengenkontingentierung und verzögerten Zollabbau fielen dabei die empfindlichen Sektoren Stahl und Textilien. Der Bereich Agrarprodukte wurde gleich ganz aus den Verträgen ausgeklammert.

Was die EG in Wirklichkeit vom Freihandel hielt, bewies sie in den Augen der osteuropäischen Länder nicht zuletzt, als sie Anfang April wegen mutmaßlich in Kroatien aufgetretener Maul- und Klauenseuche, ein befristetes Importverbot für Fleisch aus Osteuropa verkündete. Nur wenig später hatten sich nach langem Tauziehen auch die EG-Stahlproduzenten durchgesetzt: osteuropäische Stahlprodukte, hauptsächlich aus Polen und der Tschechischen Republik wurden mit Strafzöllen belegt.

Das Schweigen vieler osteuropäischer Offizieller gegenüber der EG, die so auf Wohlwollen seitens der Gemeinschaft hofften, ist seither immer deutlicherer Kritik und der Erkenntnis gewichen, daß die Assoziierungsverträge keinesfalls das tatsächliche Verhalten der EG bestimmen.

Daß Westeuropa seine Märkte gerade für diejenigen Produkte sperrt, in denen osteuropäische Länder konkurrenzfähig sind, wirkt sich jedoch nicht nur negativ auf die so dringend benötigten Deviseneinnahmen aus. Auch die Privatisierung und westliche Investitionen im Stahl-, Textil- und Agrarsektor verzögern sich oder bleiben ganz aus. Beklagt wird von Politikern der Visegrád-Länder auch immer mehr die Blockmentalität, mit der die EG sie behandelt und dabei die differenzierte Entwicklung in der Region unbeachtet läßt.

Die EG kontert ihrerseits mit der Aufforderung zu einer verstärkten regionalen Kooperation. Nicht zuletzt auf ihren Druck war auch die Freihandelszone zwischen den Visegrád-Ländern (Cefta) zustande gekommen, die im Dezember 1992 vereinbart wurde und ebenfalls über fünf bis zehn Jahre hinweg Handelsschranken beseitigen soll. Doch der Warenaustausch zwischen den Visegrád-Ländern, der ohnehin nur einen Bruchteil ihres Außenhandels beträgt, hat kaum Chancen, sich auszuweiten, nicht zuletzt wegen der Devisenknappheit der Länder und in Ermangelung einer funktionierenden Zahlungsunion.

Zwar scheint die EG bereit, auf dem Gipfel in Kopenhagen Zugeständnisse zu machen, vor allem beim schnelleren Abbau der Zollschranken für östliche Waren. Allerdings gaben Brüsseler Beamte in den vergangenen Wochen widersprüchliche Erklärungen ab. Die Palette reichte dabei von völliger Kompromißlosigkeit bis hin zu dem Angebot, tatsächlich eine feste Zusage und einen Fahrplan für eine EG-Mitgliedschaft in absehbarer Zeit abgeben zu wollen.

In jedem Fall wird die Antwort der EG auf die hartnäckigen Bitten der Osteuropäer eine erhebliche psychologische Wirkung auf den Willen jener Länder haben, die Reformprozesse fortzuführen.