Ruhestand wegen Dossierübergabe

■ Nach seiner Beichte im Innenausschuß wird Staatssekretär Vöcking in den einstweiligen Ruhestand geschickt / Staatsanwalt ermittelt wegen der Weitergabe von angeblichen Verfassungsschutz-Interna

Berlin (AFP/taz) – Der steilen Karriere folgte der tiefe Sturz: Johannes Vöcking, mit 44 Jahren Staatssekretär im Bundesinnenministerium, ist wegen der Weitergabe von Geheimdienstunterlagen an die Presse in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Wie Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) gestern mitteilte, ist die Beurlaubung des Spitzenbeamten auf dessen eigenen Wunsch erfolgt. Gegen Vöcking, früher Leiter der Zentralabteilung im Bundeskanzleramt, ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen. Er hat im Februar 1992 Erkenntnisse über einen angeblichen polnischen Spion in der Umgebung des damaligen SPD-Vorsitzenden Björn Engholm an eine Journalistin des Springer-Verlages weitergeleitet. Vor dem Innenausschuß des Bundestags hat Vöcking den Vorgang mittlerweile bestätigt.

Noch am Wochenende hatte der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Bernd Schmidbauer (CDU), zu einem entsprechenden Bericht des Spiegel erklärt, die Behauptung, Vöcking habe ein „als geheim eingestuftes Verfassungsschutzdossier an eine Bonner Journalistin weitergegeben“, sei falsch. Nachdem das Nachrichtenmagazin diese Woche mit neuen Details aufwertete, beichtete Vöcking schließlich erst im Kanzleramt, dann im Innenausschuß. Wie er beteuerte, habe er auf eigene Veranlassung und ohne das Wissen des Kanzleramtes gehandelt.

Dem Spiegel zufolge waren die übergebenen Materialien geeignet, Engholm als vermeintliches „Sicherheitsrisiko“ zu diskreditieren. Das Fernsehmagazins „Panorama“ berichtete weiter, das übergebene Papier stimme mit Ausnahme einiger Tippfehler wörtlich mit einem als „geheim“ gestempelten Fahndungsprofil überein, das das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz Anfang Februar dem Landesamt für Verfassungsschutz in Kiel übersandt hatte. Vöckings Verhalten sei „zu mißbilligen“, sagte Bohl gestern. Dem Sprecher des Bundesinnenministeriums, Roland Bachmeier, zufolge wird gegen den Staatssekretär möglicherweise auch noch ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Über den Kanzler verlautete, er wolle erst nach der Beendigung des Ermittlungsverfahrens eine „abschließende Entscheidung“ treffen.

Vöcking erhält zunächst drei Monate lang seine vollen Bezüge und bekommt dann bis zu fünf Jahre lang 75 Prozent des Gehalts, das er vor seiner Ernennung zum Staatssekretär hatte. Bundesinnenminister Rudolf Seiters bedauere die eingetretene Situation außerordentlich. Vöcking sei ein hochqualifizierter und tüchtiger Staatssekretär gewesen. Er habe sich besondere Verdienste bei der Umsetzung des Asylkompromisses und bei den Verhandlungen über das Rücknahmeabkommen für aus Polen einreisende Asylbewerber erworben. Vöckings Aufgaben übernimmt vorläufig Staatssekretär Kroppenstedt.

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