In völkischer Verfassung

■ Bei der Ablehnung des Ausländerwahlrechts mahnten Verfassungsrichter anderes Staatsbürgerschaftsrecht an

Ausländer ist jedermann, wenn er sich zeitweise in einem Land aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt. So steht es auch im Lexikon. Wohnt jemand allerdings auf Dauer in einem Land, dessen Staatsbürger er nicht ist, hat dort seinen Lebensmittelpunkt, so verliert er oft genug auch auf Dauer seine demokratischen Mitwirkungsrechte, falls diese an die Staatsbürgerschaft gebunden sind. Ein Land aber, das einen relevanten Teil seiner ständigen Einwohner vom politischen Willensbildungsprozeß ausschließt, hat ein Demokratiedefizit. Es kennt Einwohner, die über die Regeln der Geselschaft mitbestimmen und solche, die diesen Regeln nur unterworfen sind.

Die Bundesrepublik hat ein solches Demokratiedefizit, und das hat das Bundesverfassungsgericht immerhin auch gesehen, als es im Oktober 1990 über das kommunale Ausländerwahlrecht in Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte. Zumindest im Ausgangspunkt sei es zutreffend, so urteilte das Gericht, daß es „der demokratischen Idee, insbesondere dem in ihr enthaltenen Freiheitsgedanken“ entspricht, „eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herschaft Unterworfenen herzustellen“. Einfacher gesagt: Wer ständig von Bonn aus regiert wird und laufend deutsche Gesetze zu befolgen hat, muß der demokratischen Idee nach eigentlich auch wählen dürfen.

Dennoch hat das höchste deutsche Gericht damals das kommunale Ausländerwahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Verfassungsrichter stellten in Abrede, „daß wegen der erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung der verfassungsrechtliche Begriff des Volkes einen Bedeutungswandel erfahren habe“. Das „deutsches Staatsvolk“, von dem allein nach dem Grundgesetztartikel 20 „alle Staatsgewalt“ auszugehen habe, definierten die Richter weiterhin als ein durch imginäre Blutsbande zusammengehaltenes Abstraktum. Der Artikel 20 „meint mit Volk das deutsche Volk“, „eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen“, urteilten sie. Dieses völkische Abstraktum sollte gerade nicht mit der in der Bundesrepublik ansässigen Wohnbevölkerung identisch sei. Die Richter sahen dieses Abstraktum durch die Staatsbürgerschaft und den Artikel 116 des Grundgesetzes definiert, der auch den „Abkömmling“ von „Flüchtlingen und Vertrieben deutscher Volkszugehörigkeit“ dem Staatsvolk zuschlägt, sobald er „im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand von 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat“. Zur Begründung ihrer völkischen Sichtweise verwiesen die höchsten Richter, über den nur noch Gott im blauen thront, letztlich nur auf „den Willen des Verfassungsgebers“.

Am Ende sah das Gericht nur noch eine verfassungsrechtliche Möglichkeit, um das deutsche Demokratiedefizit wenigstens zu mindern: Eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts. „Denjenigen Ausländern, die sich auf Dauer in der Bundesrepublik niedergelassen haben, sich hier rechtens aufhalten und deutscher Staatsgewalt mithin in einer den deutschen vergleichbaren Weise unterworfen sind“, könne „der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert“ werden. Doch damit allerdings haben sich die Bonner Politiker Zeit gelassen. ü.o.