Bevormundung und Integration

■ In Schweden war die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft kein Schritt zur Integration

Doppelte Staatsbürgerschaft ist in Schweden schon lange kein Thema mehr. Tausende von Eingewanderten haben zwei Pässe, seit über zwölf Jahren gibt es hierzu die entsprechenden Regelungen. Doppelte Staatsbürgerschaft ist aber eine Ausnahme geblieben, wird vor allem bei Jugendlichen und für mit Nicht-SchwedInnen verheiratete SchwedInnen akzeptiert. Einfacher, als auf Dauer zwei Pässe behalten zu können, wird in Schweden den AusländerInnen die Einbürgerung gemacht. Die rechtlichen Türen hierzu sind weit offen.

Die „Naturalisierung“ als Hauptziel der Einwanderungspolitik wurde Mitte der siebziger Jahre zugunsten dreier neuer Grundsätze aufgegeben: Gleichberechtigung zwischen EinwanderInnen und SchwedInnen, kulturelle Wahlfreiheit für EinwandererInnen und das Ziel, daß „Zusammenarbeit und Solidarität“ das Verhältnis der Einheimischen und Zugewanderten kennzeichnen sollte. Das kommunale und regionale Wahlrecht erhalten EinwanderInnen nach drei Jahren, einen schwedischen Paß können sie ohne größere bürokratische Hürden nach fünf Jahren bekommen.

Doch trotz aller Bemühungen ist es nicht zur großen Integration gekommen. Der Traum, mit einer Mischung aus Offenheit, rechtlicher Großzügigkeit und sanfter Einvernahme alle ins große schwedische „Volksheim“ zu integrieren, die da des Weges kamen, war bald ausgeträumt. Die Teilnahme an den Kommunalwahlen beispielsweise ist seit der Einführung des kommunalen Wahlrechts für AusländerInnen stetig auf zuletzt knapp über 40 Prozent gefallen.

„Schweden ist eine offene Gesellschaft, wir sind ein Rechtsstaat, ein Land, wo verschiedene Kulturen sich gegenseitig bereichern sollen, wo wir nicht zwischen ,wir‘ und ,die‘ unterscheiden, wo Rassismus keine Chance hat.“ Ministerpräsident Carl Bildt sprach diese Worte im letzten Jahr, als endgültig klar wurde, daß das nicht stimmte: Nach einer Welle von Mordanschlägen gegen EinwandererInnen, nach Anschlägen auf Flüchtlingsheime und Straßenschlachten mit Rechtsradikalen.

Was war schiefgelaufen, wo es sich auf dem Papier doch so perfekt darstellte? Rechtliche Gleichstellung war und ist – beinahe, jedenfalls weit mehr als in Deutschland – verwirklicht. Doch die Kluft zwischen „wir“ und „die“ wurde trotz aller Sonntagsreden damit nicht kleiner, sondern unter der Oberfläche immer größer. Auch in den Tagen, als Gewalt und Terror gegen EinwandererInnen die Medien beherrschten, sollte am Mythos – eigentlich ist alles wohlgeordnet – nicht gekratzt werden. Die Polizei hatte ein Problem, nicht die Politik. Und schon gar nicht die SchwedInnen.

Schweden steht nicht allein mit einem Grundfehler seiner AusländerInnenpolitik. „Wir sind offen und tolerant, wir müssen nur die passenden Rechtsvorschriften schaffen“, dieses Programm konnte die fehlende Grundüberzeugung: „Wir müssen erst einmal alle zusammen lernen“ nicht ersetzen. Als „Apartheid im Denken“ hat der schwedische Friedensforscher Wilhelm Agrell die Behauptung der „großen Toleranz“ gekennzeichnet: „Wer wirklich tolerant ist, kann nicht sagen ,wir sind tolerant‘.“ Wenn „wir“ so sind, was sind dann „die“? „Die Toleranten“, die das offenbar durch Bildung, demokratische Tradition und Erziehung oder ein warmes Herz geworden sind, laufen Gefahr mit ihrer Toleranz, die sie in ein gesellschaftliches und rechtliches Geflecht umgesetzt haben, Intoleranz bei „denen“ zu züchten, wenn ihre Toleranz vor allem als Bevormundung ankommt. Und sei es noch so sehr „zum Besten“ gedacht. Denn Bevormundung und Integration passen nicht zusammen. Reinhard Wolff, Stockholm