Bewohner Goraždes bitten UNO um „Recht auf Leben“

■ Tuzla: Erneut Einsatz von Chlorgas angedroht

Berlin (dpa/AFP/taz) – In einem dramatischen Appell haben 60.000 mehrheitlich muslimische BewohnerInnen und Flüchtlinge in der ostbosnischen UN- Schutzzone Goražde die UNO und die EG gestern um Hilfe gegen die fortdauernden serbischen Angriffen gebeten. „Wir fordern nur das Recht auf Leben, nachdem uns Europa und die Welt das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen haben“, hieß es in dem von der kroatischen Agentur HINA veröffentlichten Aufruf, der von Amateurfunkern aus Goražde verbreitet worden war.

Der serbische Belagerungsring um die Stadt wird nach den Angaben der Funker immer enger. Trotz der Ankunft eines Vorauskommandos der UNO-Schutztruppen dauerten die Angriffe gegen die UNO-Schutzzone an. „Wir haben uns zu früh gefreut, daß acht unbewaffnete Blauhelme etwas für die Rettung der 70.000 unschuldigen Zivilisten unternehmen könnten“, so der Funkspruch. Bis gestern mittag war die der von Muslimen dominierten Armee Bosnien-Herzegowinas angedrohte Freisetzung von hochgiftigem Chlorgas gegen serbisch besetztes Gebiet nach Erkenntnissen der UNO-Friedenstruppen nicht erfolgt. „Wir wissen nur, daß es sowohl rund um die Industriestadt Tuzla als auch bei Goražde zur Zeit ungewöhnlich ruhig ist“, erklärte ein Sprecher des UNO-Hauptquartiers in Zagreb. Muslimische Militärs in Tuzla hatten in einem von der bosnischen Führung offensichtlich nicht gebilligten Alleingang mit der Freisetzung von Chlorgas gedroht, falls die Serben ihre Angriffe gegen Goražde nicht einstellen.

Die bosnischen Serben willigten unterdessen ein, einen UN-Hilfskonvoi von Belgrad über das serbische Hauptquartier in Pale nach Goražde fahren zu lassen. Die letzten Hilfslieferungen hatten die Stadt am 25. Mai erreicht.