Sich 'nen Spaß machen

■ Andreas Becker sprach mit dem Saitenterroristen Caspar Brötzmann

Brötzmann, die Vierte: „Koksofen“ heißt sie, die neue LP des bekanntesten, beliebtesten, auch gefürchtetsten Gitarristen der ehemaligen Mauerstadt (siehe auch Kasten). Unser Autor traf einen nachdenklichen Brötzmann chez soi.

taz: Wie ist die neue Platte von „Massaker“ entstanden?

Caspar Brötzmann: Wir haben seit dreieinhalb Jahren unseren Probenraum am Schlesischen Tor, unter der U-Bahn-Station. Ich habe da ein halbes Jahr geprobt, ich hab' für keine der vier „Massaker“- Platten so viel gearbeitet wie für „Koksofen“, die neue. Dann kamen Danny (der Schlagzeuger) und Eduardo (Baß) ins Studio. Ein sehr einfacher, simpler Weg, ohne viele Worte. Wir sind nicht in der Lage, monatelang in ein teures Studio wie das von Conny Planck zu gehen. Ich würde sterben, wär' mir viel zu lange. Wir gehen da hin und spielen, wusch. Ich wäre gern noch 'nen Schritt weitergegangen – daß du die Körperlichkeit der Musik, den Live-Sound mehr spürst, auch wenn du die Musik leise hörst. Ich weiß da 'nen Trick, den wenden wir nächstes Mal an.

Verrätst du den Trick?

Nee, nee!

Spielst Du gerne live?

Natürlich. Es ist ja kein Scherz, wenn ich über all die Jahre immer erzähle, daß, wenn ich auf die Bühne gehe, besonders in Berlin, das immer so 'ne Art Nachhause- kommen ist. Da sind Bretter, da ist das Getöse, da ist der Zusammenhalt der Band, da sind die Freunde Eduardo und Danny, und da ist das Publikum. Du teilst die Kraft und den Spaß an dem Abend, das ist das Schönste, was es gibt. Was mich inspiriert, das sind meine Arbeit und meine Freunde, meine Freunde und meine Arbeit. Ich arbeite auch, wenn ich nicht Gitarre spiele. Das ist einfach mein Leben. Das geht so lange, bis es eben vorbei ist.

In den früheren Interviews hast Du immer den Individualisten rausgekehrt. Das klingt jetzt ganz anders. Was hat sich da verändert?

Ich bin da selber schuld dran, wenn das so rüberkommt. Das ärgert mich: Wir arbeiten seit fünfeinhalb Jahren zusammen, und seitdem Danny dabei ist, sage ich in Interviews: „Massaker“ ist eine Band. Aber das siehst du nirgendwo geschrieben. Weil das zu unspektakulär ist. Auch auf der neuen CD steht nur Caspar Brötzmann, nicht „Massaker“ drauf. Das sind Feinheiten, die aber wichtig sind. Auch wenn ich die ganzen Stücke mache, das ist scheißegal, weil wir 'ne soziale Ader haben und sagen: Wir sind eine Band. Ich kann es nicht leiden, wenn mir einer sagen will, was ich zu tun habe, und so ist das bei den anderen auch. Wenn ich da mit 'nem Country & Western-Song ankommen würde, die anderen würden mich für verrückt halten. Solche Sachen funktionieren dann natürlich nicht. Es sei denn, du machst dir 'nen Spaß.

Steckt da eine Art von Jazz- Philosophie dahinter, jeder macht sein Ding, achtet aber auch auf die anderen?

Es gibt keine Philosophie. Für mich nicht. Ich hab' eine sehr klare Vorstellung davon, was ich möchte. Ich hab' das oft im Ohr, wie unsere Musik klingen könnte. Wenn du dich 16 Jahre lang nur in Höhlen rumtreibst, das ist nicht so lustig, wie das immer klingt. Ob dein Name irgendwo steht, ob du nun Geld verdienst mit der Musik oder nicht, das ist für mich alles nicht so das Ding. Für mich ist nur wichtig, daß du schöne Musik machst in der Zeit, in der du dich bewegst. Daß du dir Platz machst, deinem Herzen Luft. „Massaker“ macht gute Musik, macht eigentlich ziemlich herzliche Musik, die warm ist und die auch ihre Wut reinpackt. Wenn man sich Dinge anguckt wie Jugoslawien oder hier gerade Solingen. Dinge, die absehbar sind. Und was mich erschreckt: daß so Dinge wie Solingen kommen mußten. Wenn man sich seine eigenen Texte dann anguckt, ich möchte das nicht übertreiben. Aber ich entdecke in meiner eigenen Musik eine Art Prophezeiung. Im nachhinein, ich weiß nicht, ob mir das gefällt.

Wo hast du etwas prophezeit?

„Wenn Fratze Blutgeruch dir in die Suppe spuckt“ oder „Morast dir das Ufer nimmt“. Das sind ganz klare Sachen. Naja. Wenn du die Hilflosigkeit der UNO siehst in Jugoslawien. Sowas macht mich einfach krank. „Koksofen“ hat Untertitel, die lauten „Stimme im Zentrum der Weltkugel“ und „Lieder der Kriegsschmiede“. Diese verteufelten Typen, die wirklich gerne Krieg spielen. Die Menschheit feiert 'ne Party, um ihren allerletzten Kick zu kriegen. Das ist die Musik zu „Koksofen“. Das ist meine Reaktion darauf.

Ich werde daraus nicht so ganz schlau. Was ist daran politisch gemeint?

Das sind keine politischen Sachen. Ich finde das blöde. Jeder Schritt, den du gehst, ist für mich Politik. Wenn die Musik von „Massaker“ gleich so übersetzt wird, als sei das 'ne politische Haltung, das ist blöde. Es ist einfach nur so, daß du deiner eigenen Wut Platz machen mußt. Ich kann es nicht leiden, das zu sagen, aber es ist tatsächlich so: Ich brauch' die Musik als Ventil, diesen Ausgleich. Was würd' ich sonst machen, wenn ich nicht Gitarre spielen würde?