Keine Haifische mehr

■ Seit Jahren trotzt Adolfo Assor mit seinem Garn-Theater dem subventionierten Kulturbetrieb. Am Wochende gab's „Endspiel“ in der Katzbachstraße

Tief unten im Hinterhofkeller der Katzbachstraße 19 hat Adolfo Assor mit seinem „Garn-Theater“ (was ungefähr dasselbe ist) seit ein paar Jahren Heim und Spielstätte gefunden. Das Theater des kleinen drahtigen Chilenen ist der Inbegriff des existenziellen Off. Wo andere für ihre mehr oder weniger pubertären „Provokationen“ mit amtlicher Unterstützung rechnen können, lebt das klassische, meist monologische Theater von Assor seit fünf Jahren ganz von selbst, „und das ist toll“. Die Inhalte seiner Lieblingsmonologe, Kafkas „Bericht an eine Akademie“, „Der Brief an den Vater“, Nicanor Parras seltsame „Anti-Poesie“, Charms' „Der Wundertäter, der keine Wunder tut“ oder Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“ scheinen der wirklichen Situation des Chilenen zu entsprechen, mag das „Kellerloch“, in dem sich die Zuschauer zum „Endspiel“ sammeln, auch ein großartig weitschweifiges Gewölbe, mit geheimnisvollen Räumen und einer verspielten Galerie sein.

Diesmal allerdings hat Assor seine Bühne anderen überlassen. Lars Rudolph, der jahrelang als einer der größten Berliner Jazz- und Pop-Hoffnungen durch die Gegend tourte, hat sich nach seinem Ausstieg bei „Stan Red Fox“ dem Theaterspiel gewidmet. Auf einem Workshop hatte der Allroundmusiker den Schweizer Osthausbesetzer Philipp Schenker kennengelernt. Weil der Workshop „so langweilig“ war, sind beide bei ihrem Helden Adolfo Assor für einige Monate in die Lehre gegangen. Ohne daß zuvor eine öffentliche Aufführung intendiert worden wäre und obgleich „meine Beckettphase in Chile eigentlich schon beendet war“, hat Assor mit ihnen nun das „Endspiel“ inszeniert.

Wer ins Finale kommen möchte, muß zunächst einmal mit zwei Würfeln an der Kasse seinen Eintrittspreis herausfinden. Dann tritt man in einen Raum – da hat sich viel Stille versammelt. Im leuchtend schwarzen Nirgendwo des hohen Raumes hängen Minimalismen: zwei Fenster, ein Stuhl. Eine mit „Papa, Mama“ beschriftete Mülltonne am Rande erinnert an die Eltern, auf die Assor diesmal verzichtet. (Doch die Mutter zumindest stirbt ja sowieso auch bei Beckett).

Was als traurige Nachatomkriegsszenerie gedacht war, spielen Rudolph (Hamm) und Schenker (Clov) komödiantisch. Das Drama der Letzten unterscheidet sich kaum von dem der alltäglichen Menschen, deren festgelegte Rollen (Herr/Knecht; aktiv/passiv) in den Paarbeziehungen kein Außen mehr zulassen. Daß der Hund, den der allseits reduzierte Knecht Clov dem durchgängig kindlich-greisenhaft quengelnden blinden Hamm zum Streicheln gibt, nur schlecht aus Holz und Wolle zusammengebastelt ist, ist kein Anlaß zur Melancholie und tut der Zärtlichkeit, mit der Hamm ihn streichelt, keinen Abbruch; der Satz, (wie die Vorstellung) daß es dort draußen schon längst keine Fahrräder, Menschen, keine Natur und wahrscheinlich auch keine Haifische mehr gibt, ist äußerst komisch.

Extrem lustig meckernd, in einer Stimmlage zwischen Greis und Kleinkind, kostümiert zwischen Penner und Popstar, drangsaliert und kommandiert ein immer präsenter Hamm seinen vielleicht dann doch zu wenig ironisch spielenden Knecht. Als der ihn durch die Gegend fährt, immer an der Wand lang, betatscht er den Kopf eines Zuschauers – denn im Off darf man sich auch anfassen: „Hörst Du? – Hohle Backsteine.“

Hier ist es grau, sehr grau. Und irgendwie ist es seltsam, daß die Wiederholung des Immergleichen, die jenseits des Scheitern angesiedelt ist, in einer Zeit jenseits des Zusammenbruchs, nur noch lustig und sehr angenehm ist. Irgendwann bei Hamms Schlußmonolog, nachdem Clov sich still schon davongestohlen hat, sagt jemand im Publikum, bei ihm zu Hause wär' das ja ähnlich. Detlef Kuhlbrodt

Daniil Charms; „Der Wundertäter, der keine Wunder tut“ (nach der Erzählung „Die alte Frau“), Regie und Darsteller: Adolfo Assor, Garn-Theater, Katzbachstr. 19, Berlin 61

„Endspiel“ mit Lars Rudolph und Philipp Schenker, 16.-25. Juli in der „Kuhle“, Auguststr.10