Village Voice
: Kammermusik aus der Gefängniszelle

■ Massaker, die neue Band von Caspar Brötzmann, hat ihre vierte CD eingespielt: „Koksofen“

Auch eine Art Ethno-Musik, die hier sechzig Minuten lang durch Kellergewölbe und andere unterirdische Nischen tost. „Koksofen“ ist die gebundene Luxusausführung von all den versprengten Soundtracks zum erwarteten Untergang, der als Berlin-Metapher der achtziger Jahre allgemein durch eine ganze Menge Köpfe geisterte: Im tiefen Tal der Stammkneipen wird das ergrübelte Elend existenzialistisch in Wodka ertränkt.

Auch Caspar Brötzmann umgibt sich mit den Interieurs jenes Berliner Barock, das eine Band wie Einstürzende Neubauten längst salonfähig gemacht hat, aber er kratzt im selben Augenblick auch gewaltig am Lack.

Obwohl jedes der fünf Stücke in seiner Länge eher epenhaft angelegt ist, bleibt die Musik von Massaker zurückgenommen und bruchstückhaft in sich verschlossen, als sollte sie nur das vorhandene Material dokumentieren. Schlimmer noch – sie tritt mit einer unterschwelligen Apathie auf der Stelle, als könne sie sich nicht von einem vage definierten Grundton lösen.

Dazu paßt der Titel: „Koksofen“ als Durchlauferhitzer, also Verbrennungsmaschine, die nur Energie umwandelt, aber selbst nichts bewegt. Ganz selten wird eines der Stimmungsbilder über den Eindruck einer grobschlächtigen Zeichnung hinausgeführt, und wenn ein Song Gefahr läuft, allzuviele Nuancen und Schattierungen entwickelt zu haben, bricht die Melodienkurve plötzlich ab oder endet einfach monoton in einer Leere, so wie das Feedback im Trommelrhythmus von „Kerkersong“.

Dadurch entsteht kaum Raum für ausschweifende Assoziationen, vielmehr wird man durch eine abstrakte Enge geführt, die Ton für Ton eine ritualisiert-minimale Sprache schafft. Anders als im gewöhnlichen Bilderbuch-Rock'n'Roll wird nicht mit der vermeintlichen Weite der Phantasiewelt geliebäugelt, die letztendlich zumeist auf nichts anderem als einer weiteren im Studio ausgelegten Spur beruht. Massaker versuchen sich eher an einer modernen Variante: Kammermusik, live aus der Gefängniszelle.

Diese geschlossene Situation spitzt sich im Gitarrenspiel von Caspar Brötzmann zu. Auf „Schlaf“ etwa werden die Figuren bis zum Delirium hochgeschraubt, so daß selbst die schrillsten Verzerrungen und Obertöne unter dem unentwegten Geschabe schmucklos und stumpf klingen. Es zeugt weniger von der alten Liebe zum Krach, als von einer disziplinierten, wenn auch aufreibenden Exegese von Hendrix bis Helmet. Alles Material findet Verwendung. Hinter dieser Knochenarbeit steckt eine Geste, die den Sisyphos von Camus weniger als glücklich denn heldenhaft-stoisch definiert. Der Musiker reibt sich im Sinne des Philosophen zwischen den beiden Unendlichkeiten von Ausdruckslosigkeit und Ideenfülle auf.

Da nützt auch Brötzmanns Hinweis, daß man diese Platte laut hören müsse, nur wenig: noch in der höchsten Lautstärke packt ihn nicht der Rausch, sondern Selbstzweifel, die er auf „Hymne“ ausspricht: „Soll ich mir die Kante geben und uns ins Unglück stürzen?“ Andererseits verläßt sich Brötzmann sehr oft auf die expressive Wucht seiner Aussagensetzungen, die ihn mitunter an den Rand des Behäbigen führen. Dann wird die textuelle Sprache zum Selbstläufer: „Stimme im Zentrum der Weltkugel“ heißt es auf „Koksofen“. Damit hat er zwar alle Goetze dieser Erde auf seiner Seite, doch die Musik schweigt davon ungerührt, weil sie eine ganz andere Free-noise- Logik besitzt. Am meisten faszinieren darin die kleinen Übergänge innerhalb der Stücke, wenn zum Beispiel nach der Übersteigerung zum Schlußakkord von „Hymne“ eine nervöse Unruhe einsetzt, die man kaum als Abklingen bezeichnen kann. Anders als Jimmy Hendrix läßt Brötzmann seine Gitarre langsam ausbrennen, bis ein beißender Rauch in die Augen steigt.

Wahrscheinlich wird „Koksofen“ eine Platte, für die man sich vornimmt, sie irgendwann in einer stillen Stunde ernsthaft durchzuhören, aber meistens wird dann doch nichts daraus – wie bei den Beethoven-Einspielungen für Cello und Klavier durch Pablo Casals und Rudolf Serkin, auch eine schöne, aber dunkle Platte. Harald Fricke

Caspar Brötzmann Massaker: „Koksofen“. Cour coice/RTD; CD.