Wand und Boden
: Wieder aus der Natur schöpfen

■ Kunst in Berlin jetzt: Majerus, Neidich, Duzević, Erskine

Es sieht wie eine feministische Posterwand und ein bißchen nach Re-Neorealismus aus. Die allgirls gallery wurde von Michel Majerus mit groben Frauenfotografien tapeziert. Sie stammen aus einem polnischen Partnervermittlungsführer, aus dem sich Majerus einige Exemplare herausgepickt und unter dem Kopierer aufgeblasen hat. Der Haufen freundlich lächelnder und steifgestellter Stereotypen läßt sich in drei Kategorien der Darstellung unterteilen: Auf den Paßfotos wird nur eine erkennungsdienstliche Information übermittelt, die bezeugt, daß eine Frau abgebildet wurde. Sie erinnern an frühere Fahndungsfotos der RAF. In einer zweiten Gruppe finden sich erstarrte Studiosituationen, Standards mit Topfpflanzen oder Gartenmöbeln, die schon etwas einfühlsamer von der Grausamkeit des Alleinseins Zeugnis ablegen. Doch erst in der gehobenen Preisklasse entstehen Aufnahmen mit einer Stimmung, die über die Rolle der Frau als Versatzstück fürs Wohnzimmer hinausgeht. Man sieht den Bildern ihre Unnachgiebigkeit in Sachen Kapitalismus an. Der Frauenhandel richtet sich nach Angebot und Nachfrage, am Ende profitieren vor allem die vermittelnden Kontaktbeamten. Denn es sind die Frauen, die für den Imagetransfer auf der Suche nach Anschluß bezahlen. Im Galeriekontext fast ein allegorisches Thema.

Vom Kunststandpunkt aus gesehen liegt der Reiz in der Kritik an jener Objektivation von Weiblichkeit, wie sie sich in der Genremalerei eines Ingres, Monet oder bei Boucher finden läßt. Sein Akt auf dem Sofa ist in einer Xerox- Reproduktion unter die einsamen Damen gereiht worden. Zugleich versucht aber jede der kontaktsuchenden Frauen, auf dem engen Raum ihres Fotos sich als Persönlichkeit und Subjekt zu präsentieren, auch wenn die Kamera ihr kaum eine Chance läßt.

Polish Women, bis 2.7., Kleine Hamburger Str.16, Di-So 14-18 Uhr.

Seltsam der kometenhafte Aufstieg von Warren Neidich am Berliner Kunsthimmel: Im Mai noch via Ausstellung im Bethanien mit der Kunst des 20.Jahrhunderts konkurrierend, am Sonntag bereits die nächste Vernissage in der edlen Stiftung Starke und dazwischen mal kurz eine Foto-Show für die Bildertenne des Literaturforum im Brecht-Haus eingeschoben. Dabei drehen sich die acht Bilder noch immer um sein Schlüsselerlebnis mit Künstlerbünden und -bewegungen, die Neidich im vergangenen Jahr als gefakte Dokumente in die Paris- Bar gehängt hatte. Nun bleibt der inszenierte Klüngel auf den neuen Fotos allerdings abwesend, statt dessen hat Neidich die von Rahmen und Bildern entlaubten Nischen der Kneipe abgelichtet. „Residue“ zeigt eine Reihe aus acht Aufnahmen nachgedunkelter Holzverschalungen; Winkel und Ecken in der noblen Bar, die vom Gilb der Zeit benagt worden sind. Im Grunde nur eine Fingerübung in Sachen Fotografie, eine Art Resteverwertung der ursprünglichen Idee, sich in den hochkulturellen Kunstkontext einzuschreiben. Übriggeblieben sind melancholisch triste und manchmal geometrisch abstrakte Flächen, so wie monochrome Skizzen in Currygelb. Der Alltag, den Neidich objektiv erschließt, dreht sich als Zwitterwesen aus Kunsttrubel und sehnsüchtigem Geniekult um sich selbst.

Der Tür an Tür mit den neidichschen Überbleibseln ausstellende Exil-Kroate Goran Duzević würde dagegen liebend gerne wieder aus der Natur schöpfen, die er noch vor Ausbruch des Krieges in Jugoslawien gemalt hatte. Allein der Krieg hat Löcher in seine Einbildungskraft gerissen. So wie die Realität des Terrors über das gewöhnliche Vorstellungsvermögen hinausgewachsen ist, verblassen auch die Schockmomente der damit verbundenen Darstellung.

Goran Duzević hat nicht Kriegsszenarios, aber deren Folgen unter dem Sammeltitel Gebrochenes Glas gemalt. „Kirche“, „Arche Noah“, „Jesus“, „Nachrichten“, „Gebrochene Straße“ — alles zerbombt, zersplittert, aus den Fugen geraten. Doch in den Aquarellfarben liegt eine Leichtigkeit, die das Dilemma um so stärker hervortreten läßt, je eindringlicher und verzweifelter die Farbtöne im Undarstellbaren bohren. Kein Heartfield, nicht einmal Wolf Vostells decollagierter Kopfschuß könnten den Krieg mehr abbilden, weil er in seiner irren Transparenz selbst zum Bild geworden ist. Duzević nähert sich den Darstellungen vom alltäglichen Schrecken aus der Froschperspektive, die Bilder klaffen zur Mitte hin auf. Aber ansonsten erkennt man in den Winkel der einstürzenden Häuser die Spuren des Konstruktivismus, und in der Farbkonstellation trotz allem Schwarz, Grau und verspritztem Rot die abstrakte Harmonie eines Wassily Kandinsky wieder. Auf „Apokalypse Now“ finden sich Reste von dem, was Duzević einmal an Motiven gesucht haben mag: Augen, die irgendwo unter Trümmern hervorluken. Es ist mehr als die Perspektive kaputtgegangen.

Beide Ausstellungen bis 30.6.; Chauseestraße 125.

Täglich 11-18 Uhr, montags geschlossen steht auf der Karte und in halbfetten Lettern hinzugefügt: nur bei Sonnenschein. Man sollte Warnungen ernster nehmen. Vor dem Haus der Kulturen der Welt zeigt die Sonnenuhr auf der Freiterrasse Null Uhr an, der Himmel ist grau. Damit aber fällt das Lichtspiel von Peter Erskine aus. Über ein kompliziertes Spiegel- und Brechungssystem sollen Regenbogenfarben durch ein Zelt im Innenhof der Kongreßhalle spektakeln. Statt dessen bleibt heute alles trübe zwischen Sonnenauf- und -untergang. Der Tenor der Ausstellung über ozonische Gefühle ist in eine gewaltige Spiegelplatte eingraviert: „Die Sonne war immer unser Freund. Nun machen wir sie zu unserem Feind.“

Das ganze Ausmaß dessen, was eigentlich hätte passieren sollen, erkennt man aber erst unten im abgedunkelten Zelt, das als Erlebnisraum gedacht war. Stahlgestänge und mit holografischen Folien umklebte Platten sollen eigentlich bei entsprechender Lichtzufuhr einen bunten Zauber rund um die Besucher entfachen. So bleibt zumindest Zeit, sich in der halbschattigen Dunkelheit mit dem Forschungsstand der Wissenschaft von der Solarenergie und den Ratschlägen der ÖkologInnen auseinanderzusetzen. Von Band verkündet eine Stimme: „Heute stirbt alle 15 Minuten eine Art“, dann folgt eine Aufzählung, an deren Ende schon wieder ein neues Tier ausgestorben sein muß. In der Schonungslosigkeit der objektiven Berichterstattung wird die Apokalypse erhaben.

Secrets of the Sun, bis 19.9.; John- Foster-Dulles-Allee 10. Harald Fricke