Betreten der Balkone verboten

■ Vor allem in den östlichen Stadtbezirken sind viele Balkone so baufällig, daß sie gesperrt werden müssen oder abgerissen werden / Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain hat Statistik über Balkone angelegt

„Ra-Ta-Ta-Ta-Zong und weg ist der Balkon“, tönte es lange vor der Neuen Deutschen Welle aus heimischen Lautsprechern, als „Preßlufthammer Bernhard“ erst einmal nur vokalistisch aktiv war. Was Ende der siebziger Jahre für Stimmung auf manchem Faschingsball sorgte, ist für MieterInnen vor allem in den östlichen Stadtbezirken – aber auch im Westen – inzwischen bitterer Ernst: die Balkone sind plötzlich von der Bauaufsicht gesperrt und werden schließlich ganz abgerissen.

Studentin Anja J. beispielsweise durfte in ihre Zweizimmerwohnung in der Friedrichshainer Rother Straße nur unter der Bedingung einziehen, nicht den baufälligen Vorbau zu betreten. Streng bewachte sie deshalb ihre BesucherInnen, um diese am Gang ins nicht trittfeste Freie zu hindern. Denn die Wohnungsbaugesellschaft hatte keine Sperre installiert – jeder hatte ungehinderten Zugang und begab sich somit in Lebensgefahr. Zudem gab es keinen Vermerk im Mietvertrag über die Baufälligkeit.

Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) hat – als eine der wenigen in Berlin – eine spezielle Statistik über Balkone angelegt: So wurden in dem City- Bezirk mit rund 67.000 Wohnungen im Jahr 1991 im Auftrag der WBF an 55 Häusern 263 Balkone abgerissen und 148 saniert. 1992 wurden an 81 Gebäuden 166 Balkone entfernt, 66 gesperrt und 204 instandgesetzt. Insgesamt gab die Wohnungsbaugesellschaft dafür rund 1,7 Millionen Mark aus. „Für dieses Jahr haben wir erstmals ein Architektenbüro beauftragt, ein umfangreiches Gutachten anzufertigen“, verkündete WBF-Sprecherin Birgit Stötzer. „Dann werden wir entscheiden, wo noch Balkone saniert werden müssen.“

Grundsätzlich gebe es ein „Recht auf Balkon“, weiß Reiner Wild vom Berliner Mieterverein (BMV). Dieses bestehe aber nur, wenn der Balkon im Mietvertrag stehe. Der Vermieter ist demnach verpflichtet, ihn in Schuß zu halten. „Der Balkon darf also nicht abgerissen werden“, sagt Wild. Wenn eine Wohnung jedoch leersteht, kann „Preßlufthammer Bernhard“ loslegen.

Auch wenn der Vermieter anbiete, auf die Miete für die Fläche zu verzichten, so Wild, müsse er sanieren. Juristisch ist klar, daß nur die halbe Fläche des Balkons zur Mietberechnung herangezogen wird. Ansonsten könne die Mieterin, betonte Wild, „wie bei normalen Mängeln innerhalb der Wohnung“ handeln: mit Fristen an den Vermieter, die Schäden zu beseitigen.

Über das Förderprogramm der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, der sogenannten Mietermodernisierung, gibt es deshalb kein Geld. „Die Fassade ist Sache des Vermieters“, erklärt Sprecherin Petra Reetz, „deshalb gibt es nur Fördermittel von der Investitionsbank.“ Diese bietet Hausbesitzern zwei Programme: erstens die „Instandsetzungsförderung“, zweitens das „Fassadensicherungsprogramm“, das kürzlich angelaufen ist. „Bei der Fassadensicherung gibt es zwei Schadensklassen“, erläutert Wolfgang Braun von der Investitionsbank (früher Wohnungsbaukreditanstalt). „Zum einen schwere Schäden, wenn mehr als 60 Prozent der Fassade abgeblättert, zum anderen mittlere Schäden, wenn zwischen 30 und 60 Prozent abgefallen sind.“ Einen „Extrazuschuß“ gebe es, so Braun, für Balkone nicht. Die würden zusammen mit der gesamten Fassade renoviert.

Mit dem Balkon sind nicht nur Rechte, wie das Aufstellen von Blumenkästen, verbunden, stellt BMV-Vertreter Wild fest. Es gibt auch Pflichten für die Mieter: Beispielsweise darf auf dem Balkon nicht gegrillt werden. Zudem müssen die MieterInnen ihn auch sauberhalten sowie Dreck und Laub aus dem Abfluß entfernen. Peter Thun