Von der Direktorin in den Beichtstuhl geschubst

■ Die 17jährige Atheistin Colette Flynn besuchte eine katholische Schule in Dublin

taz: Warum sind Sie als Atheistin auf eine katholische Grundschule und später auf eine katholische Oberschule für Mädchen gegangen?

C. Flynn: In Irland gibt es 220 protestantische, eine jüdische, eine moslemische und 3.000 katholische Schulen, jedoch nur zehn überkonfessionelle Grundschulen. Die protestantischen Schulen sind zwar liberaler, aber viele nehmen nur protestantische Kinder auf. Ich bin aber katholisch getauft und habe auch die Kommunion mitgemacht, weil meine Mutter das wollte.

Gab es in der Schule Probleme, weil Sie nicht mehr am Religionsunterricht teilnahmen?

Es ist sehr schwierig, sich aus dem Religionsunterricht auszuklinken, weil man nicht unbeaufsichtigt sein darf. Es fehlte jedoch immer an Räumen oder Lehrkräften, so daß ich während des Religionsunterrichts in der letzten Reihe sitzen mußte, aber malen oder ein Buch lesen durfte. Das Problem ist jedoch gar nicht so sehr der Religionsunterricht gewesen, sondern der gesamte Schulalltag. Die katholische Religion zieht sich durch alle Fächer.

Wie macht sich das bemerkbar?

Die Geschichten in den Lesebüchern handeln von christlichen Mythen, im Musikunterricht lernt man Kirchenlieder. In der zweiten und sechsten Klasse beschäftigt man sich fast ausschließlich mit Vorbereitungen auf Kommunion beziehungsweise Konfirmation. Kinder, die daran nicht teilnehmen, fühlen sich wie Außenseiter.

Wie haben die Lehrkräfte darauf reagiert?

Besonders in der Oberschule hatte ich viele Schwierigkeiten. Die Direktorin, eine Nonne, bestellte mich oft in ihr Büro. Sie erklärte mir dann, daß sie täglich für mich bete. Manchmal holte sie auch einen Pfarrer dazu, der mich begutachten sollte. Solange man jedoch einigermaßen normal war, hatte man vom Pfarrer nichts zu befürchten. Früher war das anders. Mein Vater erzählte mir, daß ihn seine Mutter, die sehr religiös war, oft in eiskaltem Weihwasser gebadet hat. Sie holte auch mehrmals den Pfarrer zu Hilfe, der dann einen regelrechten Exorzismus veranstaltete. So weit gingen sie zu meiner Zeit nicht mehr. Allerdings brachte mich die Direktorin einmal in die Kirche, die an die Schule angeschlossen war, und schubste mich in den Beichtstuhl, wo der Pfarrer bereits wartete. Ich war zwar unheimlich wütend, gleichzeitig aber auch eingeschüchtert. Ich habe dann ein paar Banalitäten gebeichtet, wie man es Kindern vor der ersten Beichte beibringt. Nach zwei Minuten wurde ich mit drei Vaterunser als Buße entlassen, und die Direktorin war sauer, weil sie davon überzeugt war, daß ich nicht alles gebeichtet hatte. Erst als mein Vater der Direktorin damit drohte, mich auf eine protestantische Schule zu schicken, hatte ich etwas Ruhe, denn sie wollte ihr Schäfchen nicht ganz verlieren.

In der Gesetzesvorlage zum Schulwesen, die zur Zeit im Parlament debattiert wird, ist vorgesehen, den religiösen Aspekt in den Schulen zurückzudrängen. Ändert sich das irische Bildungssystem langsam?

Sehr langsam. Die katholische Kirche wehrt sich mit Zähnen und Klauen gegen jede Veränderung. Sie behauptet nach wie vor, daß Katholizismus und irische Identität untrennbar verbunden sind. Das ist Quatsch. Meine kulturelle Identität ist durch und durch irisch, aber ich bin nicht katholisch. Ralf Sotscheck/Dublin