Das lebendige Gemählde

Das lebendige Gemählde.

An einem heitern September-Abende besuchte ich meinen seit einigen Monaten verheiratheten Professor und auch Hofrath betitelten Freund Moritz in seinem Garten und neuen Stande.

Der Aufwärter meldete mich, und kam mit der Antwort zurück: Der Hr. Hofrath ersucht Sie noch eine Weile im Vorderhause zu warten, bis er Sie würde rufen lassen, denn er will Ihnen ein schönes Gemählde zeigen.

Nach einer Viertelstunde erhielt ich die Erlaubniß in den Garten zu kommen; der Aufwärter zeigte mir den Weg, welcher mich zu meinem Freunde führen würde. Sehr bald erblickte ich eine angenehme Weinlaube, vom röthlichen Abendstrahle der Sonne beglänzt, vor mir. Er selbst und seine junge Frau saßen, in ein weisses Negligé gekleidet, an einem runden Tische, und hatten einige Teller voll Obst, Weintrauben, Pflaumen, Feigen und Pfirsichen nebst einem Blumentopfe mit violetten Astern vor sich.

„Halt!“ rief er mir in noch einiger Entfernung zu. „Bleiben Sie stehen.“

Hierauf schlang er den rechten Arm um den Nacken seiner Frau, hielt mit der linken ihr Angesicht, und gab ihr einen Kuß! —

„Wie macht sich das?“ fragte er mich hierauf. „Finden Sie das Gemählde nicht Geßnerisch?“ Sehen Sie, Freund! hier unter dieser Weinlaube genieße ich das Glück der Liebe! Ja! — So ist's! — Das ist nun ein schöner Moment, in welchem Sie uns hier finden. Der kommt nicht wieder! — So hätte uns ein Künstler sehen und abmahlen sollen. — Da geht sie unter, die Sonne — und taucht den schönen Moment in's Meer!“ — —