■ Ökolumne
: Lahme Brüter Von Gerd Rosenkranz

Ein Wort gegen absichtsvolle Mißverständnisse: Es geht nicht um Entwarnung. Die Atome spaltende Hardware hat es in sich wie eh und je. Niemand kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß sie nicht morgen erneut irgendwo das Inferno entfesselt. Doch wenden wir uns für einen Moment ab von den Reaktorkuppeln und richten den Blick auf die Software. Auf die Branche selbst und die versprengte Truppe der Atom-Aktivisten, die, von (fast) allen guten Geistern verlassen, um ihr Überleben fightet. Vor allem dort, wo der „energiepolitische Konsens“ beschworen wird.

Im Jahr 40 nach dem Aufbruch in die „friedliche Nutzung der Kernenergie“ ist die Atomwirtschaft nur noch auf einem einzigen Feld spitze. Auf dem der Verdunkelung der eigenen, beklagenswerten Lage. Das unter Atomkraftgegnern so beliebte Schreckbild einer unkontrollierbaren Wirtschaftsmacht ist längst eine Schimäre. Für die Industrie sind die Nöte der Nuklearbranche keine Fußnote mehr wert. Ein Leichtgewicht fordert Solidarität. Ohne Kernenergie stehe der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ zur Disposition. Heilige Einfalt. Die Bosse schlagen sich krachend auf die Schenkel. Die Alltagsschwankungen der Wechselkurse reißen weit größere Löcher in die Bilanzen als ein – möglicherweise – durch AKW-Verzicht ausgelöster Preisschub für Strom es je könnte. Kein Manager außerhalb des nuklearen inner cyrcle rührt die Hand für einen Wirtschaftszweig, der zum Umsatz des letzten einheimischen Reaktorherstellers Siemens 2,6 Prozent beisteuert und dort etwa jeden fünfzigsten Beschäftigten stellt. Noch.

Ende März annoncierte Adolf Hüttl, Chef der Siemenssparte Energieerzeugung (KWU) die Streichung weiterer 1 100 Nukleararbeitsplätze. Das wäre eine Schlagzeile wert geswesen. Etwa so: „Siemens feuert Präsidenten des Deutschen Atomforums“. Claus Berke, der das Spitzenamt der Lobbyvereinigung seit Jahren bekleidet, wird abgewickelt. Der Ingenieurstandort Bergisch-Gladbach, den er leitet, aufgelöst. Früher hieß diese Siemens-Dependance „Interatom“. Das war das Unternehmen, das mit Schnellen Brütern die Weltenergiefrage für die Ewigkeit regeln wollte.

Wer spricht für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), wenn der Gewichtiges zum Thema Atomenergie zu sagen hat? Adolf Hüttl. Der KWU- Chef leitet neuerdings den BDI-Arbeitskreis „Kernenergie“. Das liegt nahe, denn die Angehörigen des Arbeitskreises „Wirtschaft und Industrie“ des Deutschen Atomforums (Mitglied: Adolf Hüttl) gehören diesem BDI- Gremium ohnehin in Personalunion an. Wenn sich der Zirkel trifft, wendet er sich anschließend an die Öffentlichkeit – im Namen des BDI. Wer vertritt die deutsche Industrie bei den Bonner Konsensgesprächen? Adolf Hüttl. Und wer die CDU? MdB Heinrich Seesing, Mitglied im Verwaltungsrat des Atomforums. Eine Branche vertritt sich selbst, weil niemand sonst sie mehr vertreten will. In der Bonner Heussallee residiert die Propagandaabteilung der Nuklearwirtschaft: Deutsches Atomforum, Informationskreis Kernenergie, Kerntechnische Gesellschaft – alles unter einem Dach. Zusammen knapp 25 Mitarbeiter, Jahresbudget sieben Millionen Mark. Das setzt die taz in gut drei Monaten um. Nicht eben üppig also der Obulus fürs nukleare Image.

Die Gemeinde bröckelt in ihrem Zentrum. Sicherlich, noch kämpfen die Stromer wie die Löwen um abgeschriebene Risikomeiler, die märchenhafte Gewinne garantieren. Aber neue Atomkraftwerke? RWE und Veba wollen Kohle künftig lieber mit Braun- oder Importkohle machen. Das Bayernwerk fordert Atom und investiert in Gas und Kohle.

Das Konsenspalaver von Bonn ist Teil des letzten Gefechts einer Gruppe alternder Männer, die vom Machbarkeitswahn der fünfziger Jahre nicht lassen können. Wie man hört, liebäugeln die Grünen wie ehedem mit dem Platz am Katzentisch: Sie wollen die Konsensrunde – vielleicht schon in der kommenden Woche – mit Getöse verlassen, die Umweltschützer werden wohl mißgelaunt folgen. Dann kommt die Zeit, in der die „Chemie“ der Bonner Runde stimmt. Dann werden Hüttl und Co. den Sozialdemokraten die Hände reichen, um sie über den Tisch zu ziehen. Doch was da zerrt, ist nicht reale Macht, sondern das träge Eigengewicht einer Branche, die im Begriff ist, unter den Tisch zu fallen. Nur Loslassen bringt Entlastung.