„Keine kleinkarierte Lobby-Politik für Lesben“

■ Interview mit Jutta Oesterle-Schwerin, Sprecherin des Lesbenrings

taz: Die Lesbenbewegung hat sich in den letzten Jahren darauf konzentriert, die rechtliche Gleichstellung zu fordern. Greift dieser Ansatz nicht zu kurz?

Jutta Oesterle-Schwerin: Wenn Lesbenpolitik Gleichstellungspolitik wird, dann hört sie auf, feministische Politik zu sein. Und dann ist der Punkt erreicht, wo wir uns abspalten von der gesamtfeministischen Bewegung, wo wir eine kleinkarierte Lobby-Politik machen, so wie ein Teil der Schwulen – sprich: der SVD (Schwulenverband in Deutschland, d.Red) – das bereits macht. Ich denke, das sollten wir nicht tun.

Das wird auch bei der Verfassungsdebatte deutlich. Diese Forderung „Niemand darf wegen der sexuellen Orientierung benachteiligt oder bevorzugt werden“, ist richtig. Das ist eine uralte Forderung, und es gibt keinen Grund, sie nicht mehr zu stellen. Aber eigentlich ist sie auch Bestandteil der Gleichstellungspolitik, Bestandteil einer Politik, die sagt: „Bitte, bitte, nehmt uns auf, laßt uns so sein, wie alle anderen.“ Und wie alle anderen sein zu wollen, das heißt, die Existenz des Patriarchats zu leugnen, und das heißt in Wirklichkeit, die gesellschaftliche Realität entweder zu leugnen, oder sich ihr anzupassen. Wenn es nicht gelingt, den Artikel 3 des Grundgesetzes so zu verändern, daß die Gleichberechtigung von Frauen Realität wird, also zum Beispiel dadurch, daß die Quotierung aller Arbeitsplätze oder aller politischen Ämter verfassungsmäßig garantiert wird, wenn es zweitens nicht gelingt, die Protegierung der Hausfrauen-Ehe abzuschaffen, dann ist meiner Meinung nach der Satz „Niemand darf wegen der sexuellen Orientierung benachteiligt werden“ nur noch Kosmetik. Frau kann sich dafür einsetzen, aber sie hat eigentlich keinen Grund, sich ein Bein dafür auszureißen.

In welchen Politikfeldern halten Sie es für notwendig, daß sich Lesben stärker engagieren?

Wir müssen uns ganz stark gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus engagieren. Aber gleichzeitig müssen wir uns engagieren für die Rechte von Frauen. Denn was gut ist für Frauen, ist auch gut für Lesben und umgekehrt.

Sie haben auf der letzten Berliner Lesbenwoche noch gesagt, die Rassismusdebatte innerhalb der Lesbenbewegung wäre ein Ausweichmanöver, das über eine politische Orientierungslosigkeit hinwegtäuschen soll...

Ja, ich denke, diese mea-culpa- Haltung, dieses Immer-in-uns- Reingucken und das Suchen nach den Rassistinnen in uns selbst, das ist eine Politik in uns rein, anstatt Politik nach außen zu machen, da wo sie wirklich nötig ist. Die wirklichen Rassistinnen – oder Rassisten vielmehr – sitzen wirklich ganz wo- anders als innerhalb der Frauen- und Lesbenbewegung. Wobei ich nicht sagen will, daß es nicht sinnvoll ist, in sich selbst oder in die Vergangenheit der eigenen Familie zu Mutter und Großmutter zu schauen, was für die eine oder andere auch recht schmerzhaft sein kann. Aber ich denke nicht, daß wir dabei stehenbleiben dürfen. Das mea-culpa, das ist etwas, das uns schwächt und uns sinnlos spaltet.

Was können Lesben Ihrer Ansicht nach gegen Fremdenfeindlichkeit konkret tun?

Ich denke, das, was alle tun. Da gibt es keine lesbenspezifische Verhaltensweise. Wir müssen uns in unserer Nachbarschaft umgucken und sehen, welche Menschen gefährdet sind, wo gefährliche Situationen sind. Wir müssen einfach mit offenen Augen durch die Gegend laufen, und da, wo Widerstand organisiert wird, halte ich es für sehr sinnvoll, wenn Lesben da als Lesben auftreten. Das ist auch so ein Mangel: Viele kluge und starke Lesben haben sich eingebracht in die Frauen- und die Alternativbewegung, sind dort aber nicht als Lesben aufgetreten. Die haben das Lesbischsein von ihrer anderen Persönlichkeit abgespalten, und dadurch ist Lesbischsein relativ unsichtbar geworden innerhalb der Frauenbewegung. Ich denke, dazu haben wir überhaupt keinen Grund. Wenn wir da, wo wir sind, als Lesben auftreten, dann müssen wir nachher nicht darüber jammern, daß wir eine arme, diskriminierte Minderheit sind.